Das Frankfurter “Medea“-Gastspiel am Thalia-Theater mit Constanze Becker war eine der eindrücklichsten Produktionen des Theaterfestivals

Hamburg. Kaum sind ihr Schmerz, ihre Härte, ihre Radikalität noch auszuhalten. Nicht für sie und auch nicht für den Zuschauer. Nicht wenige im Parkett halten eine Hand vor den Mund, man hört keinen Huster mehr und keinen Raschler. Medea, man weiß das ja, ist die grausamste Frauenfigur der griechischen Mythologie.

Und trotzdem gelingt es der Schauspielerin Constanze Becker ihr in Michael Thalheimers Inszenierung vom Schauspiel Frankfurt, die nun im Rahmen des Theaterfestivals zweimal am Thalia-Theater gastierte, eine derart beklemmende, bedrängende Intensität zu verleihen, dass selbst der theatererfahrene Zuschauer ihrem Spiel so gebannt folgt, als sähe er die Tragödie um die entsetzliche Konsequenz einer tief verletzten und sich fürchterlich rächenden Frau zum allerersten Mal.

Von Beginn an ist die Unausweichlichkeit des schrecklichen Ausgangs zu spüren. Medea liegt hoch oben auf dem Vorsprung einer massiven schwarzen Wand, der einzigen Einrichtung im wie zur Wunde aufgerissenen tiefdunklen Bühnenschlund. Sie schreit. Sie rast. Unsäglich ist ihre Qual, nachdem ihr Ehemann Jason sie und die gemeinsamen Kinder verlassen hat, um die junge Tochter des König Kreon zu ehelichen, der die uneinsichtige Medea und die Kinder zudem verbannen will. Thalheimer überhöht die Frauenfigur mit dieser Anordnung auch ganz konkret, Constanze Becker indes geht einem, trotz der anfangs immensen Distanz zum Publikum, unglaublich nahe, sie zeigt sowohl kraftvolles Aufbäumen, Stolz und Anmaßung als auch Verletzlichkeit und Verlorenheit, wie sie daliegt im Unterkleid, ein Bündel Mensch nur noch, und tobt vor Eifersucht und Hass auf jene, die sie ungerecht behandelten.

Jason ist bei Marc Oliver Schulze ein selbstgefälliger, lächerlicher Loser im blauen Samtanzug, der sich windet und ernsthaft bei der von ihm Verlassenen um Verständnis für sein opportunistisches Tun wirbt. Das absurde Ansinnen erzeugt bei aller Tragik Lacher.

Bedrohlich rückt ihm - und uns - Medea schließlich mitsamt der ganzen Rückwand auf die Pelle, bis fast ins Parkett schiebt sich die schwarze Fläche, ein Bote berichtet schonungslos von Medeas Mord an der Rivalin und dessen Vater Kreon, wie "Feuer das Fleisch von den Knochen löste". Und als sei das alles noch nicht genug, lässt Thalheimer keine Kinder zeigen, sondern den furchtbaren Muttermord symbolhaft auf die Schwärze projizieren: indem er anhand von Piktogrammen Medeas ganzes "glückliches" Familienleben eindrücklich vorbeiziehen lässt.

Bettina Hoppe spricht den Chor allein, als ein schmales, blasses, fast geschlechtsloses Wesen, zart und zäh schaudert sie und kommentiert das unglaubliche Geschehen.

Was aber vor allem bleibt von diesem bislang eindringlichsten der insgesamt sehr starken Gastspiele des diesjährigen Theaterfestivals, ist die monströse Unversöhnlichkeit dieser Medea, die ihre Hitze mit Ratio paart und am Ende die Bühne im kleinen Schwarzen verlässt. Aufrecht. Ins Verderben der eigenen Zukunft, in der kein rettendes Vergessen warten wird.

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