Zum ersten Mal gibt es eine Sammlung von Gedichten über die Hansestadt. Die Historikerin Martina Moede hat sie liebevoll zusammengestellt.

Hamburg. Für Johann Peter Eckermann (1792-1854), den Autor von "Gespräche mit Goethe", war Hamburg so ungewöhnlich und international, dass er 1832 eine 51 Strophen lange Hymne auf Hamburg verfasste: "Die Heimat". Auch Richard Dehmel (1863-1920) war nach einer Durchreise von Hamburg absolut fasziniert: "Klopstock und Heinrich Heine, Wollkontors und Chinawarenspeicher; Schwäne, Jungfernstieg ..." Hamburg gilt nicht als Dichterstadt, was merkwürdig ist. Denn immer haben große Lyriker/-innen hier gelebt, und wohl kaum eine deutsche Stadt ist so ausgiebig bedichtet und besungen worden. Das beweist die Hamburger Historikerin und Buchhändlerin Martina Moede, Jahrgang 1962, jetzt erstmals mit einer Sammlung: Sie hat mehr als 100 "Hamburg Gedichte" aus fünf Jahrhunderten zusammengetragen, in deren Mittelpunkt die Stadt steht. Unter den Verfassern sind längst vergessene wie der Literat und Senator Barthold Hinrich Brockes, einer der bedeutendsten Vertreter der Naturlyrik in der Aufklärungszeit; aber auch bekannte wie Heinrich Heine, Hans Leip, Wolf Biermann, Peter Rühmkorf, Ulla Hahn.

"Ich habe so manche Entdeckung gemacht", erzählt Moede. Heinrich Heine pilgerte nicht nur zu Klopstocks Grab, er dichtete auch über Hamburgs Israelitisches Krankenhaus. Die größte Inspiration für die Dichter waren immer wieder Hafen, Elbe und Alster.

Martina Moedes Band lädt zu einer anschaulichen lyrischen Zeitreise ein, von der wir hier - teilweise in Auszügen - einen kleinen Vorgeschmack geben.

Hamburg Gedichte. Hg. Martina Moede, Wachholtz Verlag, 448 S., 24,80 Euro

Die Gedichte - Eine Auswahl

Als ich ging nach Ottensen hin

Als ich ging nach Ottensen hin
Auf Klopstocks Grab gewesen ich bin.
Viel schmucke und stattliche Menschen dort standen,
Und den Leichenstein mit Blumen umwanden,
Und stand so still und sprach kein Wort,
Meine Seele war da unten tief
Wo der heilige deutsche Sänger schlief.

Heinrich Heine, nach 1816 (aus dem Nachlass)

Hamburger Sommer

Zentaur aus Sonne und Wind
wasserschnaubend die Nüstern Volldampf
voraus im Galopp an die Küsten
aber die Teetasse fein
balanciert zwischen den Hufen.

Ulla Hahn, 1995

© 1995 by Deutsche Verlagsanstalt 

Riechma - das' Ottensen

Riechs nichs? - Che, dasn Fischräucherei hi'e!
Das unse Spestialiteht hi'e -
Altona, die Stadt der Bücklinge!
Wasn richjen Bückling is - Mensch! Nein!
Da machich ein Bücklink vor, wennch ma so sang daf.
Da binnich grazu fliebt in!
Bückel - ich sachschamanbloß: B ü c k e l!
Ellein wis aussieht!
Manche Malers denkng, sie könn das hinkrieng -
So in Stillehm -
Abe dies Gold is nu wirch ma glänzend,
diese Schein trühch nich - das echt! ...

Dirks Paulun, 1951

Der Alsterpavillion

Sie trafen sich im Alsterpavillon.
(Sie trug hellblau ...)
Sie war so delikat wie ein Bonbon
Und nicht zu schlau. -
Die Alster schimmerte so sanft und klar -
Sie sah ihn an - Er war nicht allzu schön ...
Aber er war
Ihr erster Mann. -
So fanden sich sehr viele junge Leute.
Sie waren jünger als die Jugend heute ...
Das war noch lange vor dem ersten Krieg
Im großen Pavillon
Am Jungfernstieg

...

Alice Ekert-Rotholz, 1953

© 2000 by Hoffmann und Campe Verlag

Die Hafenfeier

Vom stillen Hafen singt manch kleines Lied;
Hafen der Weltstadt, bist du jemals still?
O großer Braus der Unruhe, wenn schrill
Werktags die Dampfbootschwärme, Fähren, Schlepper, Jollen
Signale kreischend durchs Sprühwasser tollen,
Rauchwolken durchs Gestarr der Maste rollen,
durchs Möwengetümmel und Schlot und Spriet.
Fremder, dann stehst du zuerst wie irr,
spürst nicht das Werk, das da wachsen mag,
nicht von den Werften herüber den Takt im Hammerschlag,
nur das Gekrach und Gerassel, Geklirr, Geschwirr,
und ziellos fragt dein Blick ins Gewirr:
wird je auf Erden noch Feiertag? ...
Sieh dort; der schlichte Mann in der Barkasse,
die unscheinbar vom wimmelnden Kai abschwenkt,
der ordnet dir die lärmende Masse.
Ihm dankt im stillen jede Speichergasse;
Ein Schiffsherr ists, der viele Schiffe lenkt ...

Richard Dehmel, 1913

Hamburg Brandstätte im Mai 1842

Lieb' Hamburg schläft! Die Pulse scheinbar stocken,
Nur Sterne äugeln wach im Azurmeer,
Da plötzlich stürmen dumpf die Tempelglocken,
Signale tönen und, trotz flinker Wehr,
Hell lodern Gluthen, sprühen Feuerflocken
Im linden Südwind kreuzend ringsumher;
Rauchwolken bahnen überall sich Wege
Und immer kräft'ger wird die Flamme rege.
Was im Betrieb des Laufmanns Glück begründet,
Was in den Speicherböden aufgehäuft,
Wird eingeäschert, oder kaum entzündet,
In hellen Strömen es zur Erde träuft;
Ja, flüßger Brennstoff, mit der Gluth verbündet,
Raketen gleich, selbst über Fleethe läuft,
So daß, von einer höhern Hand geleitet,
Der Feueraar sich flügelschnell verbreitet ...

Heinrich Volgemann, 1842

Blankenese

Ein Kleingebirg aus bunten Muscheln,
darüber dick die Wolken kuscheln.
Darunter Flaggen hin und her,
des Stromes Überseeverkehr.
Hoch auf der schlanken Promenade,
Haus über Haus das Grüngestade.
Ein kleines Nest, ein großes Bild.
Die Architekten lächeln mild.
Ein Dorf, das wie ein Eden liegt
Und sanft nach Grog und Flundern riecht.
Von angenehmen Parks verschönt,
von einer Gastwirtsburg gekrönt.
Die stille Zuflucht - im Vertrauen -
zeitmüder Schlemmer, schöner Frauen.
Der Liebesstrand, das Sonntagsbad,
das Tanzlokal der großen Stadt.
Treppauf, treppab die Winkelgänge,
Schlafpuppengärten, Netzgehänge,
Boot, Abendbank und Fliesenkram,
versponnen, blond und tugendsam.
Solide Wäsche bauscht im Wind,
mit fremden Münzen spielt ein Kind,
ein Junge träumt von großer Fahrt,
ein Alter spinnt in seinen Bart.
Hoch über Baum und Schornsteindach
Kommt man zu Atem allgemach.
Es brist herauf so meergeschwellt,
tief unten blitzt die weite Welt.

Hans Leip, 1937

Die Alster

Befördrer vieler Lustbarkeiten
Du angenehmer Alster-Fluß!
Du mehrest Hamburgs Seltenheiten
Und ihren fröhlichen Genuß.
Dir schallen zur Ehre
Du spielende Fluth!
Die singenden Chöre,
Der jauchzende Muth.
Der Elbe Schiff-Fahrt macht uns reicher;
Die Alster lehrt gesellig seyn!
Durch jene füllen sich die Speicher;
Auf dieser schmeckt der fremde Wein.
In treibenden Nachen
Schifft Eintracht und Lust,
Und Freyheit und Lachen
Erleichtern die Brust.
Das Ufer ziert ein Gang von Linden,
In dem wir holde Schönen sehn,
Die dort, wann Tag und Hitze schwinden,
Entzückend auf- und niedergehn.
Kaum haben vorzeiten
Die Nymphen der Jagd,
Dianen zur Seiten,
So reizend gelacht.
...

Friedrich von Hagedorn. 1747

Wandsbek - ein Art von Romanze

. ..

Gesetzt du wärst, die zu erfreun
Und ob des Leibes Stärke,
In Hamburg (Fleisch und Fisch und Wein
Sind hier sehr gut, das merke!)
Und hättest Wandsbeck Lust zu sehn,
Und bist nicht etwa Reiter;
So mußt du aus dem Thore gehen,
Und so allmählig weiter ...

Matthias Claudius, 1775

Hamburg

Das Hafenleid, die Alsterdiamanten -
Das sind für mich so fertige Begriffe,
Da fallen Zahlen um die großen Schiffe,
Wenn ich begönnert, aber mißverstanden
Zwischen den Reedern sitze an der Bar,
Die scheinbar nur um Whiskysoda knobeln.
Indessen denk ich immer vor den nobeln
Kaufherren an mein schlechtgekämmtes Haar ...

Joachim Ringelnatz, 1927