Die Soziologin Eva Illouz erklärt uns in ihrem neuen Buch zuerst, “Warum Liebe weh tut“. Dann richtet sie einen Appell an die Männer: Leidenschaft.

Hamburg. Liebe ist kein Kindergeburtstag, das kann man genau so sagen; oder aber vielleicht gerade doch: Liebe ist ein Kindergeburtstag. Am Ende heult immer einer. Liebe ist untrennbar mit Liebeskummer verbunden. Mal schwelgen die Geigen im Himmel, mal sitzt man mit verrotzten Taschentüchern auf dem Sofa und schaut Filme mit Hugh Grant. Dass mit der Liebe und ihrer Verankerung in der Konsumwelt, dass mit der Liebe und der mit ihr befassten Ratgeber- und Therapeutenindustrie viel Geld verdient wird, hat die Soziologin Eva Illouz zuletzt in mehreren Studien bewiesen.

Das neue Buch der Israelin fragt nach den Schmerzenspotenzialen unserer Gefühlswelt, nach dem Beziehungschaos, dem emotionalen Stress und der subjektiven Ausweglosigkeit, denen wir begegnen. "Warum Liebe weh tut" ist ein Buch, das erklärt, warum Liebe viele unglückliche Geschichten schreibt. Es zerlegt das Elend der Liebe in seine Einzelteile: die Probleme der romantischen Wahl, das sexuelle Überangebot, die emotionalen Unterschiede der Geschlechter, die Ratgeber-Industrie.

Neuer Roman: Ein Held der Durchschnittlichkeit

Dabei operiert Illouz, die in Marokko geboren wurde und in Jerusalem lehrt, in ihrer Argumentation auf der Grundlage eines historischen Vergleichs. Sie untersucht die Liebesverhältnisse, indem sie die Interviews analysiert, die sie größtenteils mit heterosexuellen Mitgliedern der Mittelschicht führte - und die Liebesordnung rekapituliert, wie sie am Ende der frühen Neuzeit, der Vormoderne, herrschte. Es ist immer schon eine gute Methode von Soziologen und Literaturwissenschaftlern gewesen, die großen Gesellschaftsromane auf die überkommenen Liebeskonzepte hin zu lesen: "Anna Karenina" oder "Madame Bovary" etwa.

Illouz liest die Romane Jane Austens (sie stammen aus dem viktorianischen Zeitalter) neu und findet dort die Regeln, die weibliche Zurückhaltung und männliches Werben fordern. Es ging in früheren Zeiten immer um alles, wenn es um die eigene Person ging.

Unsere Vorfahren waren mit ihrer Position untrennbar verbunden. Ihre soziale Funktion gab ihnen vor, was sie tun mussten und was nicht. Bei der Wahrung der (wenigen) Lebensoptionen ging es um die eigene Ehre.

Deswegen gehörten Dinge wie der "Anstandsbesuch" oder das Anhalten um die Hand zur Anbahnung von Liebesgeschichten. Die hatten dann oft genug mehr mit Zwang als mit Freiheit zu tun - man musste standesgemäß heiraten. Heute sind wir grundsätzlich mit einer anstrengenden Wahlfreiheit konfrontiert. In vielerlei Hinsicht.

Illouz ist eine Kritikerin der Moderne, ohne ihre Vorteile zu leugnen oder hinter ihre Errungenschaften zurücktreten zu wollen. Die Veränderungen in der Liebe im Vergleich zu der vormodernen Gesellschaft bezeichnet sie als "große Transformation". Dabei ist die Situation, wie sie sich für uns Heutige darstellt, die einzige, die wir kennen. Ältere erinnern sich noch gut an die Restriktionen, die bis in die 60er-Jahre hinein herrschten. Seit der sexuellen Revolution gelten auf dem Feld der Liebe nur noch wenige Regeln.

Liebeskummer ist, so lässt sich Illouz' breit angelegte Studie bündig zusammenfassen, natürlich eine Folge des Individualismus, der sich besonders in den Affekten Bahn brach: So wie bei Jane Austen wird heute nicht mehr geliebt. Mit dem Siegeszug des Kapitalismus wurde der Familienverband aufgelöst: Das System der Wirtschaft funktioniert nun nicht mehr über die Zugehörigkeit zu einer Sippe. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, der Platz im Leben ist nicht mehr qua Geburt festgelegt - das veränderte auch die Heiratsregeln. Was nach der Transformation entstand, ist nach Illouz der heutige Heirats- und Kontaktmarkt, auf dem theoretisch jeder jeden lieben kann.

Oder, weniger romantisch, jeder mit jedem Liebe machen kann. "Warum Liebe weh tut" berichtet aus der weiblichen Perspektive vom Schlachtfeld der Liebe: Dort kämpfen, bewehrt mit den Waffen des Sexus und dem Arsenal der Gefühle, zur Freizügigkeit erzogene Menschen. Ein gängiger Gegenwartsbefund hantiert mit den Schlagworten "Hedonismus" und "Serielle Monogamie"; Illouz spricht von der "Sexualisierung der romantischen Wahl". Im Grunde ist es, auf einen einfachen Nenner gebracht, die Befreiung der Sexualität im Zusammenspiel mit der Konsumkultur, die uns an der Liebe leiden lässt. Die Soziologin Illouz erklärt die Zusammenhänge leidenschaftslos; als Feministin stellt sie die Emanzipationsbewegungen nie infrage.

Sie mündeten in ein neues Selbstverständnis der Frau. Als marxistisch geschulte Denkerin spielt Illouz den Konsumcharakter der Liebe (der schlägt sich in Erfindungen wie dem Valentinstag und den Produkten der Popkultur nieder) gegen das Verlangen nach Authentizität aus. Die Kommerzialisierung des Sex dämpfe die Gefühlsintensität, sagt Illouz. In einer Überflussgesellschaft (die im Gegensatz stehe zur emotionalen Mangelwirtschaft der Vormoderne) sterbe das Begehren.

Die Folge sind Ernüchterung und Ironie: Jeder schützt sich, so gut es geht, gegen Verletzungen. Dass eine Geisteswissenschaftlerin bemüht ist, ihre Disziplin und deren Konzepte gegen biologische und psychologische Erklärungen in Stellung zu bringen, überrascht nicht. Trotzdem beschleicht einen das Gefühl, dass die Natur doch mehr ihre Finger im Spiel hat, als einem Illouz weismachen will. Anders gesagt läuft ihre Studie auf einen beinah rührenden Appell hinaus - er geht an die Männer.

Die sind die Herren im Ring, eine von ihnen dominierte Gesellschaft belohnt diejenigen mit Statusgewinnen und Macht, die sexuellen Erfolg haben. Bei riesiger Auswahl sorgt das für Bindungsangst und -unlust. Eine These, in der wir die Wirklichkeit wiedererkennen. Die Lösung wäre die sexuelle Zähmung der Männer, die, so Illouz, das "Modell der sexuellen Akkumulation auf den Prüfstand" stellen sollen. Heißt: Unsere Gesellschaft muss wieder ein Modell entwickeln, das auf leidenschaftlicher Liebe beruht und Männern Männlichkeit zuschreibt, gerade weil sie sich auf eine Frau festlegen: "Das romantische Unglück von Männern und Frauen beinhaltet und inszeniert die Rätsel der modernen Freiheit und der modernen Fähigkeit des Wählens."

Wir lieben unglücklich, weil wir frei sind: ein nicht wirklich überraschender, aber dennoch beunruhigender Schluss, er betrifft am Ende Männer und Frauen.

Eva Illouz: "Warum Liebe weh tut". Dt. v. Michael Adrian. Suhrkamp. 467 S., 24,90 Euro

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