Eine Presseschau zur ersten Deutschland-Tour von NDR-Chefdirigent Hengelbrock mit seinem neuen Orchester: “Aller Ehren wert“.

Hamburg. Die ersten Abo-Konzerte in Hamburg hat der neue NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock hinter sich. Damit die Bindung zwischen Maestro und Musikern sich bei Auswärtsspielen festigen möge, folgte vom 3. bis 9. November eine Tour mit fünf Konzerten und Werken von Ravel, Haydn, Rossini, Brahms, Prokofjew, Beethoven und Mozart. Die Rezensenten mochten, was sie in der Bremer Glocke, dem Konzerthaus Baden-Baden, der Alten Oper Frankfurt, dem Stuttgarter Beethovensaal und der Kölner Philharmonie hörten.

"Weser-Kurier": "Hengelbrock, der von der historischen Aufführungspraxis her kommt, zeigte gleich beim ersten Stück, der Sinfonie Nr. 70 von Haydn, wo es langgeht: ein aufgelichteter Satz, scharfe dynamische und klangfarbliche Kontraste, herausforderndes Spiel mit Geist und Humor. (...) Brahms' 4. ist eine Art Heimspiel. Hengelbrock suchte nicht krampfhaft nach einer eigenen Deutung, sondern arbeitete den vielfältigen Charakter deutlich heraus. (...) Vielleicht braucht es Zeit, bis Hengelbrock aus den Schichten des Werkes eine persönliche Lesart findet; die Voraussetzungen sind vielversprechend."

"Badisches Tagblatt": "Bei Hengelbrocks Konzert liegt Aufbruchstimmung in der Luft. Man sieht es an den kleinen Gesten, wenn er sichtbar glücklich dem Orchester lauscht und manches Mal ganz aufhört zu dirigieren. (...) Beethovens Eroica beginnt nicht heroisch, sondern eher zurückhaltend. Flexibilität ist Hengelbrock viel wichtiger als Pathos. Was das Instrumentarium angeht, ist der Alte-Musik-Experte kein Dogmatiker. Bis auf die Trompeten spielt das Orchester auf modernen Instrumenten."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Hengelbrock war meilenweit davon entfernt, Rossinis 'Wilhelm Tell'-Ouvertüre als 'Warmspielstück' quasi sich selbst zu überlassen, vielmehr bot er ein Musterbeispiel an Klangdifferenzierung, Themencharakteristik und rhythmischer Präzision. In der Ära Schmidt-Isserstedt wäre es wohl kaum vorgekommen, dass die Blechbläser für Mozarts Klavierkonzert KV 415 zu Originalklang-Exemplaren greifen. Der künstlerische Mehrwert erwies sich jedoch als außerordentlich, zumal Alice Sara Ott das Werk mit feinem Gespür für kammermusikalische Dialogbereitschaft gestaltete."

"Frankfurter Rundschau": "Das Sinfonieorchester des NDR gehörte in den vergangenen Jahren nicht zu den auffälligsten im Lande, aber vielleicht kommen bald neue Zeiten: Wenn die Elbphilharmonie doch noch irgendwann fertig wird, soll der Klangkörper dort Orchestra in Residence sein. Für das Projekt, neue Wege einzuschlagen, scheint die Verpflichtung von Hengelbrock eine ausgezeichnete Maßnahme gewesen zu sein. (...) Klarheit und Ausgewogenheit waren die Maximen, mit denen er und sein Orchester an Beethovens Eroica gingen. Die Breitwandigkeit des ersten Satzes ging manchmal auf Kosten der Transparenz, aber die Marcia funebre war eine hoch intelligent inszenierte Reflexion über Trauer und Märsche und die Dramatik insgesamt zwingend und hinreißend effektvoll."

"Stuttgarter Zeitung": "Alles in Ravels G-Dur-Konzert muss mühelos und leicht klingen - eben so, wie es Ott und das blendend spielende Orchester vorgeführt haben. Mag man sich auch das Adagio Assai noch zeitenthobener vorstellen können: rhythmisch pointierter und klanglich geschärfter als in den Ecksätzen geht es kaum. Das hatte großes Format, und doch gab es mit Beethovens Eroica eine Steigerung. (...) Hat man diese Sinfonie je derart organisch und detailreich durchgestaltet gehört wie hier? Hengelbrock versuchte weder Temporekorde zu brechen noch auf Teufel komm raus einen Alte-Musik-Klang zu evozieren, stattdessen nutzte er das Klangpotenzial dieses wunderbaren Orchesters, um Beethovens Musik als klingendes Drama zu erzählen. Mit einem farbigen, sehnigschlanken Klang und einer traumhaften Hörnergruppe. In Hamburg, so lässt sich vermuten, entsteht gerade etwas Großes."

"Stuttgarter Nachrichten": "Dass Hengelbrock sein Amt erst im September antrat, hörte man vor allem bei Haydns 70. Sinfonie: Da wollte die Tempo-Abstimmung noch nicht glücken, man erlebte eine (noch) nicht vollends befriedigende hybride Interpretation zwischen modernem Instrumentarium und historischer Stilistik. Der 'Hamburg Sound' muss noch wachsen."

"Kölner Stadtanzeiger": "Den mittleren Haydn kann man so spielen, dass er wie Spülwasser wirkt. Da ist Hengelbrock vor: Dass er es binnen kurzem geschafft hat, der Traditionsformation NDR-Sinfonieorchester einen Klangstil zu vermitteln, wie man ihn von seinen Balthasar-Neumann-Ensembles kennt, das ist aller Ehren wert und zeugt von großer emotionaler wie intellektueller Durchsetzungskraft."