Der Spielfilm “Simon“ mit Jan Josef Liefers als jüdischem Buchhändler erlebt heute seine Welturaufführung auf dem Filmfest Hamburg.

Passage-Kino. Manchmal schickt er ihr ein paar Zeilen auf Facebook, und dass er die auf Schwedisch verfasst, das ist wohl Ehrensache für einen wie Jan Josef Liefers. Lisa Ohlin, die schwedische Regisseurin des Films "Simon" (außerhalb Deutschlands "Simon And The Oaks"), der heute beim Filmfest Hamburg seine Weltpremiere erlebt, schwärmt sehr von Liefers, der bei uns vor allem durch seine Rolle als schnöselig herumdozierender Gerichtsmediziner Karl-Friederich Boerne aus den Münsteraner "Tatort"-Folgen bekannt wurde. In Ohlins Verfilmung des Romans "Simon och ekarna" (1985) von Marianne Frederiksson (ebenso auf Deutsch: "Simon") brilliert Liefers in der Rolle des jüdischen Buchhändlers Ruben Lentov, der mit seiner kleinen Familie rechtzeitig vor den Nazis aus Berlin nach Göteborg flüchtet.

Marianne Frederiksson, mit einer Weltauflage von 17 Millionen Büchern von der Leserschaft, insbesondere der weiblichen, weitaus inniger geliebt als von der Kritik, erzählt in ihrem Roman die Geschichte zweier Familien, deren Ordnung durch die Zeitläufe und durch ein allzu lang gehütetes Geheimnis gründlich aus den Fugen gerät. Titelheld Simon Larsson (Bill Skarsgård) ist der Sohn einer einfachen schwedischen Handwerkerfamilie, der sich mit seinen Vorlieben für ferne Länder, Geschichte und Bücher insbesondere dem Vater seltsam fern fühlt. In der Schule in der Stadt, auf die er schließlich gehen darf, freundet er sich mit Lentovs Sohn Isak (Karl Linnertorp) an, den er vor mit den Nazis sympathisierenden Mitschülern beschützt.

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Der Film schwelgt in den unterschiedlichen sozialen Milieus der beiden Jungs, die sich bald vom Vater des jeweils anderen besser verstanden fühlen als vom eigenen. Dass Simon die Musik so über alles liebt, hat indes noch einen anderen Grund. "Das Wichtigste im Buch wie im Film ist wohl, dass man unbedingt wissen muss, wo man herkommt. Unsere Wahrnehmung und unsere Identität werden wesentlich davon geprägt", sagte Lisa Ohlin gestern dem Abendblatt am Telefon, ehe sie sich für die nächsten drei Stunden in die Hände ihrer Friseurin begab. "Das Thema Familie beschäftigt mich sehr. Fast jede Familie birgt ein Geheimnis, und es wirkt in jedem Familienangehörigen. Ich habe auch selbst eine Familienaufstellung nach Bert Hellinger gemacht."

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In "Simon" ist das Private unentwirrbar mit dem Politischen verflochten. Die Geschichte wird kompakt und glaubwürdig erzählt, und dass Jan Josef Liefers in der überzeugenden Schauspielerriege eine Idealbesetzung ist, sieht wohl nicht nur die Regisseurin so: "Ich habe das Buch oft gelesen und hatte natürlich ein inneres Bild von Lentov. Jan kam dem von seiner ganzen Erscheinung her verblüffend nahe."

Vom behaglichen, lebensgrundsätzlich unbekümmerten Groß-Ego des "Tatort"-Forensikers Boerne ist in dieser Figur nichts zu spüren. Wenn Jan Josef Liefers hier auf den Schultern unter seinen gut gearbeiteten Anzügen an etwas trägt, dann an der Würde und den Umgangsformen der jüdischen Bourgeoisie, die sich ihrer Auslöschung gegenübersieht. Wie sein Lentov seelisch aus dem Gleichgewicht geraten ist und sich gleichwohl fortwährend um Contenance bemüht, wie er Nähe zu Menschen einer Klasse sucht, die ihn spüren lassen, dass er nicht zu ihnen gehört, das rührt ans Herz. Und sein Schwedisch klingt formidabel selbst in den Ohren der Schweden. "Er bekam das Drehbuch und ein Tonband mit seinem Text", erzählt Ohlin. " Er hatte auch einen Dialog-Coach, aber wie er all die Nuancen der Sprache gelernt hat, das ist einfach toll. Man merkt, dass er Musiker ist und ein Ohr für Sprachen hat." Aber kaum hätten die schwedischen Schauspieler am Set angefangen zu improvisieren, habe Liefers immer Halt! Stopp! gerufen. Anfangs konnte er nur seinen Text sprechen. Mit der Zeit schnappte er vieles auf, inzwischen reichen Liefers' Sprachkenntnisse zur Verfertigung kleiner Botschaften an seine Regisseurin. Drehen bildet.

"Simon" ist bislang Lisa Ohlins opulenteste Produktion. Sechs Millionen Euro stecken in der skandinavisch-holländisch-deutschen Koproduktion, ein kleiner Teil davon kommt von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Sehen tut man von Hamburg trotzdem nichts. Hier entstanden nur die Innenaufnahmen von Simons Zuhause - im Studio.

Simon , Premiere heute, 21.00 Passage-Kino (U Mönckebergstraße) Mönckebergstraße 17, und Sa 8.10., 19.30 Cinemaxx (S Dammtor) Dammtordamm 1, Tickets zu 7,50 unter T. 32 52 74 29, in den Kinos und an der Ticketkasse im Levantehaus

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