Zwei junge Hamburger Kuratorinnen setzen mit ihrer ersten Ausstellung “Is This Where It Ends“ im Kunstverein Harburger Bahnhof hohe Maßstäbe.

Hamburg. Das Auspacken hat ein Ende. Vor ein paar Tagen hockten die beiden jungen Frauen noch gemeinsam über einem Dutzend Kisten, mitten in der monumental hohen Kulisse der ehemaligen Wartehalle für Reisende 1. Klasse im alten Harburger Bahnhof. Dort bauten sie die einzelnen Teile eines der Ausstellungsobjekte zusammen - entworfen von Haroon Mirza -, aus Kabeln und Monitoren, Einrichtungsgegenständen, Dingen, die leuchten, und Dingen, die klingen.

Franziska Solte und Isabelle Busch heißen die beiden, seit April haben sie die neue künstlerische Leitung des Kunstvereins Harburger Bahnhof übernommen. Mit ihrer ersten Ausstellung "Is This Where It Ends" mit Sunah Choi und Haroon Mirza setzen sie gleich hohe Maßstäbe. Immerhin hat Mirza gerade einen Silbernen Löwen in Venedig abgestaubt.

Als Busch und Solte den in London und Sheffield arbeitenden Mirza für den Kunstverein Harburger Bahnhof anfragten, wussten die beiden noch nichts von der erst später vergebenen Auszeichnung, sie hatten einfach ein Gespür für einen Künstler, der mit jeder Arbeit interessanter und relevanter wird und nicht stumpf-ästhetische Kunst direkt für den Kunstmarkt produziert. "Was zum roten Sofa passt, ist gute Kunst", hebt Franziska Solte ironisch hervor. Darum geht's hier aber genau nicht. Denn, so Busch, "der Kunstverein Harburger Bahnhof ist keine Galerie und möchte nichts verkaufen."

Doch nicht nur dem Rahmen des künstlerischen Schauraumes ist das Interesse an zeitgenössischer Kunst geschuldet; sicherlich auch dem Umstand, dass die jungen Frauen selbst erst vor Kurzem das Studium beendet haben beziehungsweise, wie die 26-jährige Isabelle Busch, gerade mitten in den letzten Prüfungen stecken. Wenn man mit den beiden spricht, mit Zigaretten und Bier auf dem Dielenfußboden in Buschs Wohnung mitten in der Schanze, merkt man schnell, dass hier zwei Ausstellungsmacherinnen am Werk sind, die für die Kunst brennen und sich für den theoretischen Diskurs hinter der reinen Ästhetik interessieren. So sind sowohl die Arbeit "A Sleek Dry Yell" von Haroon Mirza als auch Sunah Chois neue Arbeit "Züge" eine fordernde Angelegenheit: "Beide Künstler beschäftigen sich mit Übersetzungsmechanismen von Geräuschen und loten den Ausstellungsraum kinetisch wie klanglich aus", so die Kuratorinnen.

Und der Ausstellungsraum hat es in sich: Direkt im Bahnhof Harburg, über den Gleisen 3 und 4, befindet sich dieser äußerst reizvolle Kunstraum. Eine 300 Quadratmeter große Fläche, eine Decke so hoch wie eine Kirche und nicht weniger ehrwürdig, so präsentiert sich die ehemalige Wartehalle. Vor Jahrzehnten wurden hier reiche Reisende mit luxuriösen Speisen versorgt und unterhalten, seit 1999 zeigt man in dem lichtdurchfluteten Raum Kunst.

Die Größe des Ausstellungsraumes unterstützt vor allem die Arbeit von Sunah Choi, die extra für die Ausstellung entwickelt wurde. Ein riesiger Vorhang, der einem die ungewöhnliche Höhe des Raumes erst bewusst macht, hängt seidig, still und leicht gewellt von der Decke. Verdeckt er etwas? Er ist an Schienen gehängt, es rattert leise, der Vorhang bewegt sich. Stille. Rattern, Bewegung ohne erkennbares Muster.

Doch die aus Korea stammende und in Berlin lebende Künstlerin Sunah Choi hat ihrer Arbeit ein Muster gegeben: Minutiös hat sie die Geräusche der passierenden Güterzüge im Harburger Bahnhof dokumentiert und deren Lärm in das Bewegungsmuster des Vorhangs übertragen. Man weiß nicht, woher die Züge kommen, wohin sie fahren. Es scheint, als entstünden die Bilder zum Geräusch und zur Bewegung des Vorhangs im Kopf, wo etwa die Erinnerungen an alte Filme sitzen.

"Es ist ein paradoxes Spiel", überlegt Isabelle Busch, als sie selbst das erste Mal vor dem riesigen Objekt steht,a "indem das Visuelle sichtbar macht, dass das Auditive unsichtbar ist".

Ähnlich paradox und auf die Sinnesebenen des Hörens und Sehens gleichermaßen bezogen ist auch Haroon Mirzas Arbeit "A Sleek Dry Yell" angelegt. Filmbezüge okkulter Streifen wie "Altered States" von Ken Russell werden in den Raum rückübersetzt und aufgefächert. Visualität und Klang verschmelzen zu einer einzigen ästhetischen Form und erzeugen ein sensuelles Moment.

"Is This Where It Ends?", endet es hier, fragt der Ausstellungstitel programmatisch. Die Antwort liegt offenbar hinter einem seidenen Vorhang. Dort steht, vor dem inneren Auge: Es ist ein gelungener Beginn.

"Is This Where It Ends? Sunah Choi / Haroon Mirza" bis 20.11., Kunstverein Harburger Bahnhof, im Harburger Bahnhof über Gleis 3 und 4, Hannoversche Straße 85, Mi-So, 14.00-18.00