Mehr als 100 Bands und DJs treten beim drei Tage andauernden 5. Dockville-Festival für Kunst und Musik am Reiherstieg in Wilhelmsburg auf.

Hamburg. Festivals sind: zu groß, zu kommerziell, das Essen ist schlecht, das Gelände meist lieblos und die Bands meistens entweder so bekannt, dass man sie nicht noch einmal sehen will (Kings Of Leon!), oder so unbekannt, dass sich noch keiner für sie interessiert. Außerdem: Konsum, Konsum, Konsum.

Und dann gibt es das Dockville-Festival, in diesem Jahr zum fünften Mal auf Europas größter Flussinsel - diverse Bühnen, mitten in Wilhelmsburg. Unbekanntes, Unerwartetes, Ehrliches und Mitmach-Kunst, eine "Freihandelszone" mit Handgemachtem, regionalem Essen, Schnapshütten, Siebdruck-Merchandise vor Ort, alles in einer einzigartigen Szenerie. An diesem Wochenende spielen dort mehr als 100 Musik-Acts vor fast 15 000 Menschen. An der Elbe, umgeben von Wällen und Wellen (keine bedrohlichen!). Drum herum herrscht diese ganz eigene Industrieästhetik. Man sieht Schuttberge, aber auch die Schiffe des Hafens, Kräne und Speicher, als Leinwand für Lichtinstallationen umfunktioniert.

Schon seit einigen Wochen ist das Gelände zum "Flaum - Ein Festivalraum" geworden. Ein soziales, räumliches Experimentierfeld, in dem Kunst und Besucher gemeinsam einen künstlerischen Mikrokosmos gestalten. Am Festivalwochenende selbst steht aber die Musik im Mittelpunkt. Ob beim regulären Konzerterlebnis mit den Headlinern Santigold und Editors oder beim Nachtexzess um vier Uhr morgens mit DJ Phono im Maschinenraum und Christopher Rau im Butterland. Alles zwischen Hip-Hop und Indie, teuflischer Traurigkeit und Tanzbodenkrachern, Deutschpunk und Pop.

Als der junge Anti-Rapper Casper aus Bielefeld für das Dockville bestätigt wurde, hatte ihn noch niemand so richtig auf dem Schirm. Sein neues, überaus erfolgreiches Album "XOXO" besticht durch ein kräftiges Gemisch von Hip-Hop und alternativer Musik, von tief gepressten Flows und Gitarren. Casper rappt über das Weitermachen, die Schönheit des Lebens und den Mut zur Schwäche.

Das kanadische Elektro-Punk Duo Crystal Castles hingegen dreht die Lautstärke ins Unendliche. Alice Glass' furiose Stimme donnert über die gewaltigen Beats von Soundfrickler Ethan Kath. Zusammen erschaffen sie ein kompromissloses Lärmerlebnis, das zum Aufregendsten gehört, was man in den letzten Jahren hören durfte.

Im Segment elektronischer Musik können sich zurzeit alle auf Bodi Bill einigen. Der Sound der Berliner ist so gefühlvoll, dass man glaubt, man habe es mit emotional gefärbtem Folk zu tun. Doch dieses hintergründig Nervöse, dieser zarte Tanzwunsch deutet anderes an. Die Gruppe bezeichnet es in dem Stück "Brand New Carpet" als: "They are dancing in their sleep."

Doch wenn es um unmittelbare Emotionalität geht, kommt man vor allem um eine Band nicht herum - Wild Beasts. Das UK-Quartett hat mit "Smother" ganz sicher eine der Indie-Platten des Jahres veröffentlicht. Zeitlos sind die verführerischen Stücke vorgetragen im Falsett und mit sphärischen Keyboards, mit Texten über Sex und Kraft und Leidenschaft.

Auch dabei: Zola Jesus, die eigentlich Nika Roza Danilova heißt und die junge Königin des Gothpop ist. Die Band-Mitglieder von Trail Of Dead zerschlagen gerne ihre Gitarren, wenn sie ihren fesselnden Prog-Rock-Punk spielen, Gold Panda ist die große Elektro-Hoffnung Englands, Mount Kimbie spielt brillant verschachtelten Dubstep, wer spät nachts zu Christopher Rau tanzt, wird glücklich, Superstar Santigold ist ein umwerfendes Elektro-Pop-Punk-Soul-Girlgenius-Happening, Chuckamuck einfach verrückt, Andreas Dorau singt Todesmelodien, und Editors ist und bleibt diese unglaubliche, englische Band mit Pathos, die einem live die Gänsehaut des Lebens beschert.

+++ Das Dockville Festival: im Internet mit Bildern, Blog und Berichten: www.abendblatt.de/dockville +++

Dockville-Festival Fr 12.8.-So 14.8., Wilhelmsburg (S Veddel), Reiherstieg Hauptdeich/Ecke Alte Schleuse, 3-Tage-Ticket 80,-, 2-Tage-Ticket 60,-, Tagesticket 40,-; das komplette Programm unter www.msdockville.de