“XOXO“, die neue Rap-Platte des deutschen Rappers Casper, ist ein herzlicher Abschied von der Klischeewelt des Hip-Hop.

Hamburg. Das ist mal eine ungewöhnliche Antwort. Zumindest, wenn man denjenigen etwas genauer anschaut, der sie gibt: "The Smiths", sagt Casper, schwarze Skinny-Jeans, Kapuzenjacke, ein Lächeln. "Wer ist die beste Band aller Zeiten?", hat man ihn gefragt, und spätestens jetzt sollte man genauer zuhören. Denn die britische 80er-Jahre-Band um Sänger Morrissey, die für weiße Lilien, gute Bücher und die in Pop vertonte Traurigkeit steht, passt so gar nicht zu den ultramaskulinen Gangsterkarikaturen, die in den letzten Jahren den Hip-Hop-Ton angaben. Aber das ist die Welt von Casper, gebürtig Benjamin Griffey, 28. Gerade ist sein Album "XOXO" erschienen, wochenlang belegte es Platz 1 der Amazon-Charts, obwohl es noch gar nicht erschienen war. Allein die Vorbestellungen reichten aus.

"XOXO" schlägt eine Brücke zwischen Hip-Hop und Indie, mit Caspers Punk-Vergangenheit und seiner rücksichtslos praktizierten Authentizität. "Ich wollte meine privaten Musikvorlieben in die Platte pressen, mit aller Konsequenz und in vollem Bewusstsein" sagt Casper. Seine privaten Musikvorlieben, das sind so progressive wie dunkel klingende Bands wie This Will Destroy You oder Esben & The Witch. Dementsprechend brodelt es in einem Stück wie "Blut sehen", als rollten riesige Lawinen durch die Adern, in "Auf und davon" wird der Soundteppich von einer Gitarrenlinie dominiert.

Eher untypisch für Hip-Hop. Aber Casper sieht nicht einmal aus wie ein Rapper - die Arme schön bunt tätowiert, der Blick aufmerksam und klar, keine Spur von Arroganz und Allüren. Er will kein Gangster sein und vor allem: keine Klischees erfüllen. "Über mich haben in der Schule auch alle Scheiße gequatscht, aber ich bin rausgegangen und bin irgendwas Cooles geworden. Die anderen verkaufen heute Versicherungen in Bösingfeld."

Kollaborationen gibt es auf der Platte nur zwei: die Hip-Hop-Reibeisenstimme Marteria ("So perfekt") - und der Hamburger Tomte-Sänger Thees Uhlmann, mit dem Casper zusammen den Titelsong eingespielt hat. Dessen Refrain ist voller popkultureller Andeutungen und wird überall funktionieren, vom Cabrio in der Innenstadt bis ins Kinderzimmer der Hip-Hop-Kids, von der Hamburger Indie-Disco bis zur Elbstrandparty.

Nichts weniger als sich selbst und sein Leben hat Casper in diese Platte gesteckt. Der Track "Michal X" rührt zu Tränen; er handelt von einem Freund, der sich das Leben nahm. Oder "Das Grizzly Lied", in dem Casper von der Beziehung zu seinem amerikanischen Vater singt und das, was er von ihm mit auf den Weg bekommen hat: "Papa sagte, Sohn nimm mein Gewehr. Mal bist du der Jäger, mal bist du der Bär. Und wenn du Bär sein musst, um Gottes willen, dann kämpf. Und ich bin Grizzly jetzt." Auf "XOXO" wird Schwäche gezeigt. Im Hip-Hop nicht gerade eine Königsdisziplin: "Die Rapper denken, ich wäre ein ängstlicher, schwacher Typ", sagt Casper, "dabei bin ich auch der albernste Typ der Welt, lache über blöde Cartoons und renne raus zum Dosenstechen. Aber diese Musik trifft mich einfach. Und ich will sie weitergeben." Und das tut Casper. Was nichts damit zu tun hat, dass er sich dann auch wieder mit seiner Freundin auf den Boden legt und alte Smiths-Platten hört.

In seinen Texten sucht Casper nach Bildern und Geschichten, die die Gegenwart seiner Generation beschreiben. Ungewissheit, Verlorenheit, "im Unterton traurig, im Oberton feiernd". XOXO ist ein Kurztext für die amerikanische Art des Abschieds (Kuss-Umarmung-Kuss-Umarmung). Es ist ein herzlicher Abschied vom deutschen Hip-Hop und von der Angst, die die Jugend lähmt. Aufstehen, weitermachen.

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