Morgen kommt Terrence Malicks Epos und Goldene-Palme-Gewinner “The Tree of Life“ in die Kinos. Es ist ein Film, der niemanden kaltlässt.

Terrence Malick versucht in seinem kosmischen Epos "The Tree of Life" nichts Geringeres, als den Sinn des Lebens zu fassen: Wer sind wir und wieso? Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Wo ist Gott? Und überhaupt: Was ist Liebe? In Cannes wurde Malicks Opus magnum zunächst ausgebuht - und bekam dann die Goldene Palme. Keine Frage, dieser Film wird das Publikum spalten: Einerseits ist er unerträglich sperrig und anstrengend, andererseits ist es bombastisches, bildgewaltiges, mit großen Stars besetztes Kino.

Am Anfang ist ein Licht. Es flackert, minutenlang. Eine Stimme flüstert Worte aus dem Buch Hiob, in dem es darum geht, ob das Leid in der Welt einen Sinn hat. Klagend wendet sich Hiob an Gott. "Wo warst du, als ich die Erde gründete?", setzt er ihm entgegen. Die Stimme flüstert in den dunklen Kinosaal: "Sag es mir, wenn du so klug bist!"

Zeitsprung ins Hier und Jetzt: Wobei das Hier eine amerikanische Vorstadt im mittleren Westen der USA ist und das Jetzt die 60er-Jahre. Ein Sohn stirbt. Man erfährt nicht, warum. Sieht nur die Tränen der Mutter, den leeren Blick des Vaters. Und dann wieder die Rückblende in Zeiten, in denen das Leben dieses Jungen noch nicht einmal eine Idee war. Gottes Werk und Malicks Beitrag: Der Regisseur zeigt Lavaströme, die sich über die Erde ergießen, Sternenbilder, Unterwasserwelten. Bach, Berlioz, Brahms - Choräle und Orchester begleiten die Geburt des Universums. Oder einfach nur Stille. 20 Minuten lang. Zellen teilen sich, Wolken ziehen vorbei. Mikroben und Amöben werden zu Kunstwerken. Plötzlich liegt ein Dinosaurier im Flussbett.

Man darf sich nicht wehren, kann sich nur der transzendenten Schönheit der Bilder ergeben. Alles wird später einen Sinn ergeben. "The Tree of Life" ist ein Film wie ein Urknall. Eben noch am Beginn allen Lebens irrt Jack O'Brien (Sean Penn) Milliarden Jahre später durch Wolkenkratzer-Schluchten der modernen Welt. Ein kühles Labyrinth aus Glas und Stahl. Der Business-Mann erinnert sich an den Tod seines Bruders vor 30 Jahren, damals in dem amerikanischen Vorort. Er versucht nach all den Jahren einen Sinn zu erkennen.

In Rückblenden werden die Wolkenkratzer zu hohen Bäumen, in denen sich die Kamera von Emmanuel Lubezki ("Children of Men") verträumt verfängt. Vorstadtidylle: Jack ist wieder ein Kind, spielt mit seinen Brüdern auf der Straße - einer, das wissen wir nun, wird später sterben. Goldenes Licht flirrt durch die tanzenden Blätter, landet auf der Haut einer rothaarigen Frau. Die gläubige Mutter (Jessica Chastain) versucht ihre drei Söhne mit so viel Liebe und Wärme wie möglich großzuziehen. "Da oben wohnt Gott", flüstert sie ihren Kindern ins Ohr und zeigt mit elfenhaften Fingern in den ewig blauen Sommerhimmel. Der Familienvater (Brad Pitt) hingegen glaubt, dass man die Jungs nur mit Härte und Disziplin zu ehrbaren Menschen erziehen kann. Vor allem der älteste Sohn Jack bekommt die strenge Liebe des Vaters mit aller Wucht zu spüren, wünscht sich zunächst seinen Tod, wird später selbst immer mehr wie er.

Unschuld trifft auf Gewalt, Schönheit auf Hass, Glauben auf Darwinismus. Worte, von denen es nicht viele gibt, werden meist nur geflüstert. Sie lösen sich auf im Gegenlicht, das durch die Bäume und seidenen Vorstadtgardinen blinzelt. Malick versuchte mit so wenig Computerbildern wie möglich zu arbeiten. Zusammen mit Douglas Trumbull, der schon die visuellen Effekte in Stanley Kubricks Klassiker "A Space Odyssey" schuf, experimentierte Malick in einem Labor mit fluoreszierenden Farbstoffen, Chemikalien oder Milch. Die prätentiöse Hybris des Regisseurs, der mit dem Chemiebaukasten Gott spielt, kann man verspotten - schöner ist es, sich ihr zu ergeben.

"The Tree of Life" ist die fünfte Spielfilmregie des öffentlichkeitsscheuen Terrence Malick, der in Harvard und Oxford studierte. Nach "Badlands" und "In der Glut des Südens" tauchte der 67-Jährige zwei Jahrzehnte unter. 1998 gewann er dann mit "Der schmale Grat" auf der Berlinale. 2005 beschwor er in "The New World" den Pocahontas-Mythos neu. Ursprünglich sollte Heath Ledger die Rolle des Vaters in Malicks größenwahnsinnigem, bereits vor drei Jahren abgedrehten Film spielen. Nach seinem Tod übernahm Brad Pitt, der den Film auch produziert.

Am Ende führt Malick mit etwas zu viel Pathos all seine Charaktere wieder zusammen. Wer den Kinosaal noch nicht verlassen hat, sieht sie, aus allen Zeitebenen herausfallend, am Wasser aufeinandertreffen. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn allen Lebens scheint greifbar. Malick spricht sie nicht aus - zum Glück. Der Zuschauer muss sie selbst in den wundersamen Bildern finden. Aber sie ist da.