Die Intendanten erklären, wie Kampnagel und Thalia-Theater in die Zukunft gehen wollen - und wie der neue Senat dabei helfen kann.

Hamburg. Ein neuer Senat ist gefunden, die alten Probleme für Hamburgs Theater sind noch da. Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, und Joachim Lux, Intendant des Thalia-Theaters, sprechen über knappe Kassen, große Kunst und wie man neues Publikum gewinnt.

Abendblatt: Kampnagel wurde zweimal zum Theatertreffen eingeladen, das Thalia-Theater gar nicht. Nehmen jetzt die Kleinen den Großen die Butter vom Brot?

Joachim Lux: Das empfinde ich überhaupt nicht so.

Amelie Deuflhard: Außerdem sind wir gar nicht klein. (Gelächter)

Bleiben wir im Bereich der Kulinarik: Welches Gericht bekommt man, wenn man Kampnagel oder Thalia bestellt?

Deuflhard: Bei Kampnagel ist das ein Menü mit mehreren Gängen für Feinschmecker. Mit exotischen und lokalen Zutaten. Bei uns essen viele Menschen unterschiedlicher Herkunft am großen Tisch und unterhalten sich angeregt.

Lux: Am Thalia gibt es sehr gut zubereitete Speisen, der Koch ist einer der besten. Das Essen macht satt, ist weder Nouvelle Cuisine noch Bauernküche. Man kann selten sagen, das Gericht war schlecht. Man kann höchstens sagen, dass es zwar gut war, aber nicht dem eigenen Geschmack entsprochen hat.

Was sind die größten Probleme, die Kampnagel derzeit hat?

Deuflhard: Ein großes Problem ist, dass die lokale Theaterszene geschrumpft ist, die für unsere Arbeit eine Basis bietet. Viele sind nach Berlin abgewandert. Das hat damit zu tun, dass die Rahmenbedingungen in Hamburg sehr schlecht für freischaffende Künstler sind. Dieses zentrale Problem wäre mit einer Anhebung der Allgemeinen Projektförderung und mit einem Kulturfonds für internationale und überregionale Projekte aller Sparten sehr gut zu beheben.

Wie hoch sind Ihre Subventionen ?

Deuflhard: 3,7 Millionen Euro bekommen wir von der Stadt. Das ist für ein Haus mit 1500 Plätzen und einem Avantgarde-Auftrag nicht viel. Es gibt in Europa in dem Segment kein Haus, das annähernd so groß ist und vergleichbar wenig Geld bekommt. Unser Etat ist seit 17 Jahren nicht erhöht worden, das entspricht einer Schrumpfung von 40 Prozent. Wir machen trotzdem große, internationale Gastspiele. Jedes aber mit einem hohen Risiko, da wir stets Geld akquirieren müssen. Vieles geht nur durch Drittmittelfinanzierung aus vielen sehr unterschiedlichen Quellen.

Lux: Auch das Thalia hat seit 17 Jahren keine nennenswerte Etat-Erhöhung bekommen. Wir schreiben inzwischen rote Zahlen.

Wo liegen grundsätzlich Ihre Probleme?

Lux: Wir sind erstens ökonomisch immer weniger konkurrenzfähig zu anderen deutschen Theatern. Sogar innerhalb Hamburgs sind wir Schlusslicht. Das zweite Problem besteht darin, dass wir - wie alle anderen auch - jonglieren müssen zwischen dem, was das Publikum sich ersehnt, und dem, was wir künstlerisch für wichtig halten. Das ist nicht immer das Gleiche. Künstler haben oft tolle innovative Aufführungen gemacht, die beim Publikum aber nicht unbedingt gut ankamen. Von solchen Innovationen lebt das Theater - nur können wir uns das immer weniger leisten.

Deuflhard: Wir wollen und müssen auch Neues, Ungewohntes zeigen, von dem wir wissen, dass die Quote nicht stimmen wird - und das bei einem immer größeren Publikum durchsetzen. Wir können sicher größere Risiken eingehen als ein Staatstheater, weil wir die Aufführungen nur sechs- oder siebenmal spielen. Kampnagel kann Künstler aufbauen. Erst treten sie in der kleinen Halle auf, dann in den größeren. Es gibt viele Beispiele dafür, dass das gelingt. She She Pop, die jetzt zum Theatertreffen mit ihrer "Lear"-Adaption "Das Testament" eingeladen sind, arbeiten seit Jahren auf Kampnagel.

Es ist noch eine zweite Koproduktion von Kampnagel beim Theatertreffen, Christoph Schlingensiefs "Via Intolleranza". Tragen solche Ehrungen dazu bei, dass mehr Zuschauer kommen?

Deuflhard: Könnte sein. Eine solche Auszeichnung wirft einen Fokus auf die freie Szene und auf Kampnagel, Anerkennung schafft sie allemal.

Lux: Wenn wir mit "Caligula" in Shanghai gastieren oder mit "Hamlet" in Peking, steigt in Hamburg die Nachfrage. Wenn andere sich für uns interessieren, dann muss ja was dran sein. Stimmt ja auch. Aber Mundpropaganda findet nur zwischen Menschen statt, die sich potenziell für Theater interessieren. Das Ziel muss aber sein, dass es für alle Menschen normal wird, ins Theater, Konzert oder Museum zu gehen. Weil man gespannt darauf ist, was dort stattfindet. Es müsste eine Grundstimmung geben, einen Humus, der gut ist für die Kultur und damit für die Stadt, in der wir leben.

Wie gewinnen Sie, über Ihr Stammpublikum hinaus, neue Theaterzuschauer?

Deuflhard: Wir haben in den vergangenen drei Jahren unser Publikum um 50 000 Zuschauer erhöht. Wir haben Stücke für Kinder und Jugendliche im Programm, veranstalten Konzerte, Musiktheater, Theater und Tanz, präsentieren internationale Stars und Newcomer und arbeiten mit bildenden Künstlern. Dabei suchen wir immer wieder nach Ästhetiken und Themen, die die heutige Welt spiegeln.

Wie macht das Thalia gezielt auf sich aufmerksam?

Lux: Zunächst einmal mit Qualität. Ich glaube, wir haben kaum einen Abend gehabt, der unter Niveau war. Dass nicht allen alles gefällt, ist eine andere Frage und normal. Dann: Wir haben bei den Regisseuren ein breites Spektrum von erfahrenen Künstlern bis zur Entwicklung von sehr jungen innovativen Künstlern. Wir haben mit den "Lessingtagen" aus dem Stand heraus das neben dem Kampnagel-Sommerfestival größte Festival Hamburgs geschaffen. Hinzu kommen vielfältige Bemühungen, das Publikum mit Diskussionen, Angeboten für Menschen mit schmalem Geldbeutel und einer Unmenge an theaterpädagogischen Programmen an uns zu binden.

Glauben Sie, dass Sie mit Aufführungen wie Brechts "Antigone des Sophokles" neue Zuschauer ansprechen können?

Lux: Dazu ist der Abend zu anspruchsvoll. Diese eigene, möglicherweise auch sperrige Inszenierung ist kein Mainstream und schmiegt sich nicht an. Wenn wir uns Regisseure wie Dimiter Gotscheff nicht mehr leisten können, dann sag ich 'Gute Nacht'! Erfolg an der Kasse ist nicht das einzige Kriterium für ein Staatstheater. Wir bekommen Subventionen, um Vielfalt anzubieten.

Hilft es, wenn sich die Politik wieder stärker für Kultur engagiert?

Lux: Ungemein. Wenn es in der Stadt Repräsentanten gibt, die sagen, Kultur ist uns wichtig, dann träufelt das in die Stadt und schafft ein besseres Klima.

Was sollte der neue Senat kulturell möglich machen?

Lux: Die Kultur so ausstatten, dass von unten etwas nachwachsen kann. Wo kein Boden ist, kann auch keine Elbphilharmonie gedeihen. Das andere ist, dass die Kultur sich nicht immer dafür rechtfertigen sollen müsste, dass es sie gibt. Als Drittes muss das Gesamtklima so sein, dass die Kultur atmen kann. Wenn das gelingt, kann man von einer Stadt im kulturellen Sinne reden, von einem lebendigen Ort, der mehr ist als eine Ansammlung von Straßen, Häusern und Geschäften. Das ist öde. Dafür leben wir nicht. Das ist das, was es uns ermöglicht, andere Dinge zu tun. Das Gesamtklima muss sein: "Kampnagel oder die Kunsthalle gehören zu meinem Leben dazu", da gehe ich ein paarmal im Jahr mit meiner Familie hin.

Deuflhard: Es sollte sich in der Kunst spiegeln, dass wir uns in einer internationalen Stadtgesellschaft befinden. Wir müssen internationale Künstler anziehen und mit Künstlern migrantischer Herkunft aus Hamburg arbeiten.

Lux: Berlin gibt beispielsweise recht viel Geld für ein "postmigrantisches Theater", das Ballhaus Naunynstraße. Das ist kulturpolitisch entschieden gewollt. Die sind nun auch beim Theatertreffen. Sie machen richtig tolles Theater. So etwas könnte es in Hamburg auch geben.

Deuflhard : Und deren Besucher sind jung, international und interessiert.

Lux: Genau das meine ich, wenn ich neue Publikumsschichten erschließen will. Aber sollen wir jetzt eine türkische "Medea" rausbringen? Das wäre vermutlich Quatsch. Und wenig authentisch. Wir brauchen auch neue Stücke, neue Künstler, neue Themen. Wir müssen alle Hamburger ansprechen. Das ist die Aufgabe der Zukunft.