Der “Liebestod“ auf Kampnagel zeigt musikalische Kontraste. Die Solistin Sol Gabetta illustrierte die Bedrängnisse einer alten Frau.

Hamburg. Wann hat man schon Gelegenheit, einem anderen Menschen direkt ins Herz zu sehen? Auf dem Umweg über die Musik geht das vielleicht. Der Abend "Liebestod" auf Kampnagel mit der Amsterdam Sinfonietta hat Fühlen und Formulieren einander exemplarisch gegenübergestellt.

Das ekstatische Vorspiel zu Richard Wagners "Tristan und Isolde" ist wohl die prominenteste Vertonung des romantischen Ideals totaler Vereinigung in der Liebe. Die Musiker produzierten trotz schmaler Streicherbesetzung einen duftigen, atmenden, üppigen Wagnerklang: Selten erlebt man eine so gekonnte Bogeneinteilung, den bewussten Einsatz von Vibrato und eine gemeinsame Artikulation bis in die kleinsten Wendungen.

Der Schauspieler Jeroen Willems lieh seine Stimme (dass er seinen Monolog auf Englisch hielt, hätte man ruhig vorher ankündigen können) dem Komponisten Alban Berg. Dessen Liebeserklärungen an Hanna Fuchs, der der Komponist außerehelich verfallen war, verflochten die Beteiligten auf das Raffinierteste mit Bergs "Lyrischer Suite", in die er seine Liebe zur Unerreichbaren gefasst hatte. Willems rezitierte aus dem Briefwechsel der beiden (vermutlich jedenfalls, das Programmheft schwieg dazu) virtuos und mit einer Intensität, die das Komische des Selbstmitleids nicht scheute.

Um ganz andere Seelenzustände ging es in "Up-Close" von Michel van der Aa, dem Composer in Residence des "Klang!"-Netzwerks. Van der Aa ließ seine Protagonistin gleich doppelt auftreten: Die Cellistin Sol Gabetta illustrierte mit der zerklüfteten Tonsprache ihres Soloparts die surrealen Bedrängnisse einer alten Frau, die parallel in einem Video gezeigt wurden. Jedes Geräusch, ob aus dem Lautsprecher oder aus dem Orchester stammend, vergrößerte die Spannung: ein aufregender, komplexer Dialog zwischen Film, Elektronik und Livemusik. Und wo man in den guten alten Zeiten andere Menschen liebte, da fand die postmoderne Heldin ihre Ruhe in der Umarmung einer Stehlampe.