Dimiter Gotscheff bringt Bertolt Brechts “Die Antigone des Sophokles“ auf die Bühne des Thalia-Theaters. Unterstützt von Dramaturgin Beate Heine.

Thalia-Theater. Wenn Theaterregisseur Dimiter Gotscheff einen antiken Stoff erarbeitet, taucht er völlig in diese Welt ab. So intensiv, dass weder er noch seine Darsteller Zeit haben, darüber zu reden. Die findet Beate Heine. Die gebürtige Hamburgerin, Jahrgang 1964, hat nach Stationen in Paris und Berlin am Thalia-Theater die Chefdramaturgie übernommen. "In die Antikenprojekte steigt Gotscheff immer besonders tief ein, um eine theatrale und ästhetische Übersetzung für das Archaische zu finden", sagt sie.

Nach der hermetisch-strengen Variante von "Ödipus, Tyrann" (von Sophokles nach Hölderlin von Heiner Müller) in der vergangenen Spielzeit richtet der Bulgare derzeit am Alstertor die heutige Premiere "Die Antigone des Sophokles" ein. Die Fassung stammt nicht von Sophokles, Bertolt Brecht hat sie nach der Übersetzung Hölderlins erstellt. Sie unterscheidet sich deutlich von dem Ursprungstext. Das Dunkle, Mythische und Rätselhafte wurde durchrationalisiert und in seine Essenz eingedampft.

Die Brüder der Antigone, Polyneikes und Eteokles, bekämpfen sich anders als bei Sophokles nicht gegenseitig. Polyneikes entflieht, nachdem er Eteokles im Kampf gegen Argos fallen sah. Er wird erhängt. Schwester Antigone, die Tochter des Ödipus, will beide anständig begraben, doch Kreon, König von Theben und Bruder des Ödipus, lehnt das ab, weil Polyneikes seine Heimat angegriffen, während der Bruder sie verteidigt habe.

Kreon beharrt auf der Staatsräson, Antigone kämpft für das Gebot des Herzens und der Menschlichkeit. Der uneinsichtige Kreon verurteilt die Tochter seines Bruders Ödipus zum Tode. Eine Warnung des Analytikers Tiresias, der aus seiner Erfahrung heraus in die Zukunft blicken kann, kommt zu spät. Das Reich zerfällt.

Heiner Müller hatte seine "Ödipus"-Version gleichsam auf den Kopf gestellt, die Götter ausgeschaltet. Bei der "Antigone" wählte Gotscheff die Brecht-Fassung, weil sie anders als Hölderlins Text nicht das religiös-mythologische System gegen das sittliche Gemeinwesen setzte, sondern mit Kreon und Antigone zwei Menschen zeigt, die ihren radikalen Ideen folgen. "Antigone kehrt sich gegen die repressive Gesellschaft, in der sie lebt, gleichzeitig offenbart sie eine Radikalität, die auch eine Hybris enthält", so Beate Heine. Brecht hatte seiner Version 1948 in Chur nach seiner Rückkehr aus dem Exil als Antwort auf den Zweiten Weltkrieg verfasst. Daraus direkte historische Bezüge abzuleiten wäre Heine zu einfach.

"Die Antigonefigur ist keine Metapher für den deutschen Widerstand", sagt die Dramaturgin. Widerstand ist gleichwohl das große Thema und zudem ein persönliches Anliegen von Dimiter Gotscheff. Der Regisseur, der in Ost-Berlin bei Brecht-Schülern die Regiekunst erlernte, inszenierte zunächst in Bulgarien, später auch in der damaligen DDR. Nach seinem großen Erfolg mit Heiner Müllers "Philoktet" 1983 durfte er ein Jahr lang nicht im kommunistischen Bulgarien inszenieren, anschließend wurde er in die bulgarische Provinz verbannt. Nach 1985 arbeitete er ausschließlich in Westdeutschland.

Gotscheff schätzt Texte, die er wie einen Steinbruch bearbeiten kann - wie die seines langjährigen Freundes Heiner Müller. Er kreiert typisierte Figuren und sucht allgemeingültige Aussagen. In der Reduktion will er den Menschen bloßlegen. "In Zeiten, in denen sich das Volk von Ägypten bis Libyen erhebt, stellt sich die Frage, was wir eigentlich verteidigen und in welchem Spannungsfeld wir stehen", so Heine.

Während Kreon, gespielt von Bernd Gravert, für einen verblendeten, willkürlichen Herrscher steht, stellt sich Antigone, gespielt von Patrycia Ziolkowska, subversiv gegen Normen und Sitten. Radikal bricht sie alle Brücken zum Leben ab. Vernunftgründen ist sie nicht zugänglich. "Die Widersprüchlichkeit ist das Interessante", erklärt Beate Heine. Wie ihr Vater Ödipus will Antigone über das eigene Opfer zum Menschen werden.

Anders als "Ödipus" soll die Inszenierung der "Antigone" einen spielerischen Charakter zeigen. "Wir brechen das ästhetisch stärker auf, etwa mit Musik", sagt Beate Heine, "es geht um die großen Fragen: Wer sind wir, wo kommen wir her und warum sind wir das, was wir sind?" Aber auch darum, was Menschen ihren Mitmenschen antun können. Damit landet die Inszenierung bei dem, was Beate Heine und ihr Team mit ihrem Theater wollen. Es öffnen, positionieren und möglichst dicht an den Diskursen der Gegenwart sein.

Die Antigone des Sophokles Premiere heute, 20.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten zu 13,50 bis 66,- unter T. 32 81 44 44 oder im Internet unter www.thalia-theater.de