Das ist er aber nicht nur. In seinen nun als Buch erscheinenden Blogs duelliert sich der Musiker mit dem Alter Ego Hamburg-Heiner.

Leipzig/Hamburg. "Hamburg", so nennt der Schreiber der Blogs seinen Gesprächspartner manchmal. Und bisweilen spricht er von ihm auch als "HH", was "Hansestadt Hamburg" heißen kann oder "Hamburg-Heiner". So heißt der Zeitgenosse bevorzugt, mit dem sich Sven Regener die Bälle zuspielt. Oder sagen wir besser: die literarische Figur des Sven Regener, die in den Blogs des Autors mit demselben Namen ihr Unwesen treibt. Um auf Hamburg-Heiner zurückzukommen: Der ist kein übler Typ, aber letztlich doch ein Pedant und Klugschnacker, mit dem sich trefflich streiten lässt.

Und das macht Regener seit vielen Jahren, und zwar jedes Mal, wenn er unter regener.blogg.de oder für ein Onlineportal bloggt. Im Bloggen hat der 50-Jährige eine Form gefunden, die seiner Kunst der spleenigen und skurrilen Alltagsbeobachtung entgegenkommt. "Blogs haben eine literarische Qualität", sagt Regener. Weshalb der Autor der Romane "Herr Lehmann" und "Neue Vahr Süd" nun ein Buch mit dem Titel "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher" veröffentlicht hat.

Man kann nun sagen: Wie sinnlos, einen Blog, also eine Art Tage- oder Logbuch, in dem sich der Verfasser seinen Lesern online mitteilt, in Buchform zu pressen. Ein Blog ist ein Blog, weil er online steht und den Inhalt im Internet vernetzt. Und weil die Leser das Gelesene gerne kommentieren und direkt Einfluss auf das Geschriebene nehmen. Diese Kommentare liest Sven Regener aber nach eigenem Bekunden nie (wer's glaubt!), und auch sonst ist er ein ganz außergewöhnlicher Blogger, dessen Blogs also natürlich die gedruckte Version verdienen.

Sie sind köstlich, genauso wie der ganze Kerl, der dieser Tage auf Lese- und Werbereise für den "Hamburg-Heiner" ist. Zum Beispiel auch in Leipzig, auf der Buchmesse, auf der Regener ganz in Schwarz gewandet durch die Hallen läuft. Mit dicker Hornbrille, Regener wirkt mit ihr - egal ob auf einer Lesung oder einem Konzert mit seiner Band Element Of Crime - nie wie ein Nerd, sondern stets wie der schnoddrige Norddeutsche, der er ist. "Guten Tach, mein Name ist Sven Regener", so stellt er sich den Leuten vor, sie kennen ihn aber eh alle. Die von seinem Verlag, Galiani in Berlin, und auch die anderen. Mit der Lehmann-Trilogie wurde Regener zum Bestsellerautor, und als solcher ist man natürlich wer beim Branchentreffen. Regener schaut keck durch die Brille und sagt: "Hätte mir einer vor 15 Jahren gesagt, dass ich mal zum Literaturbetrieb gehöre, ich hätte ihn nicht völlig für verrückt erklärt."

Weil der begnadete Selbstironiker, Pointensetzer und Skurrilitätenaufspürer schon immer von der Originalität seiner Betrachtungen überzeugt war. Nennen wir es den liebevoll verhohnepipelnden Wirklichkeitszugriff eines hanseatischen Flaneurs und Kulturmenschen, dessen Sprachspiele an Max Goldt erinnern, die Suadas an Thomas Bernhard und die schamlosen Übertreibungen an Joachim Lottmann: "Hier also der Merksatz für alle: Wer Stil mit spitzem S ausspricht und nicht aus Hamburg kommt oder Hans Koschnick heißt, hat keinen."

Regener berichtet in seinen Blogs von Besuchen auf der (Frankfurter) Buchmesse und immer wieder von den Tourneen mit Element Of Crime. Regeners ethnologische Erkundungen (in Oberösterreich, in Ostwestfalen) sind kurzweilig und urkomisch. Aber den Kern der Blogs bilden die irrwitzigen und nach dem gleichen Muster ablaufenden Dialoge zwischen Regener und Hamburg-Heiner, Letzterer eine Art Mitbringsel Regeners aus seinen Hamburg-Jahren. Anfang der Achtziger lebte er hier, später von 1998 bis 2001.

Davor und danach in Berlin. "Hamburg", sagt Regener und schlägt die Beine übereinander, "ist eine offene Wunde, ich bin da zweimal gescheitert." Und vielleicht gibt es deswegen seit vielen Jahren den gestrengen Hamburg-Heiner, Regeners fieses Über-Ich, der auf der Veddel wohnt. Den "Deichgrafen", der den Sprung über die Elbe gewagt hat. Wie so viele Studenten auch (Hamburg-Heiner: "Wilhelmsburg ist ja mittlerweile das deutsche Stanford!"), Regener hat eine genaue Vorstellung vom Hamburg der Gegenwart. "Ist schon ganz lustig, trotzdem was mitgenommen zu haben", sagt Regener lakonisch. Wir sagen jetzt trotzdem mal ganz nassforsch: Was soll er auch in Hamburg, er, der Mann aus der Neuen Vahr, der Bremer mit zurzeit ganz eigenen Sorgen? "Wir Bremer waren zu erfolgreich zuletzt, wir müssen auch mal wieder durch schlechte Zeiten gehen, das stählt den Charakter", sagt Regener mit Blick auf die aktuelle Werder-Krise.

Wir dokumentieren den "Versuch über Hamburg", einen Blog-Eintrag vom 12.9.2009: "Die Hamburger lieben ihre Stadt mehr als alles andere auf der Welt und sie führen dafür viele gute Gründe an: Hamburg hat mehr Brücken als Venedig, mehr Sonnentage als Rom, mehr Grachten als Amsterdam, mehr Hotdogs als New York, mehr Autonome als Kreuzberg, die Luft ist frischer als frisch, das Bier schlimmer als Schultheiss, und in St. Pauli gibt es mehr Puffs als in ganz Ostwestfalen-Lippe."

Sven Regener: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher. Galiani. 417 S., 19,95 Euro. Lesung am 15.5. in der Fabrik