Ausprobieren wollte sie sich, das ist gelungen. Mit “In meiner Mitte“ legt Wieder-Hamburgerin Annett Louisan ein erstaunlich leises Album vor.

Hamburg. Wenn die Sonne in das Büro der Hamburger Plattenfirma 105 Music scheint, muss man sich vorsehen, um nicht geblendet zu werden. Überall hängen Goldene Schallplatten. Anders gesagt: Jugendliche hängen sich Poster an die Wände, hier hängen vor allem Ina Müller und Annett Louisan. Letztere lässt sich gerade fröhlich in den Sessel fallen und bietet ein französisches Frühstück an - Kaffee und Kippen. Eben das, was Künstler brauchen, die bereits einen wahren Interview-Marathon hinter sich haben und eigentlich immer nur eine Frage beantworten müssen: "Hast du einen Freund?"

Die Frage bleibt dieses Mal ungestellt, wir widmen uns lieber der allgemeinen Verwunderung, dass sie wieder in Hamburg lebt. Alle zieht es an die Spree, Annett aber ist nach eineinhalb Jahren zurück an die Elbe gekommen und lebt jetzt in St. Georg. Warum sie gegen den Strom schwimmt? "Berlin ist toll, hippiemäßig und bunt. Aber gerade wenn es irgendwie zu bunt wird, ist es schön, abends in eine Bar zu gehen und jemanden zu treffen, den man kennt. Hier sind meine Familie, meine Freunde und mein Verlag. Mein Leben. Obwohl eine kleine Zweitwohnung in Berlin nicht schlecht wäre", erzählt sie. Ein Leben als "Teilzeithippie" würde ihr liegen. So hieß auch ihr voriges Album aus dem Jahr 2008. Damals überraschte sie mit dem Verzicht auf blond gefärbte Haare und einem breiteren Pop-Spektrum. "Ich wollte nicht mein eigenes Maskottchen sein", erinnert sie sich und reicht Feuer. Sie wollte sich ausprobieren. Jetzt ist nach vier Top-Ten-Alben ihr fünftes "In meiner Mitte" erschienen, das sowohl wie eine Selbstfindung, aber auch wie eine weitere Neuerfindung klingt.

Schon beim ersten Hören dreht man unweigerlich den Lautstärkeregler an den Anschlag. Ist das leise! Annett flüstert förmlich über ihre "Pärchenallergie", über die "Zweite Chance", über zerbrechliche Mädchen auf dem Schulhof und gefährliche Mädchen an der Theke der Daniela Bar am Schulterblatt. Und natürlich "Von der Liebe".

Die Band begleitet sie stets zaghaft - mit minimalistisch arrangiertem Country, Gipsy-Jazz und Chanson-Pop. Man muss nicht viel Fantasie haben, um zu erkennen, dass viele der gesungenen Geschichten einen autobiografischen Kern besitzen. Anders als die zynische Lolita-Hymne "Das Spiel" von 2004. Es sind mehr intime Momente als Songs.

"Das stimmt. Ich möchte, dass der Hörer glaubt, auf meinem Schoß zu sitzen, während ich ihm direkt ins Ohr singe. Zu viel Gestik und Vibrato in der Stimme würde diesen Augenblick zerstören", erklärt Annett und gibt zu, dass "In meiner Mitte" mehrere Durchläufe braucht, um sich zu erschließen. Dabei fällt auch auf, dass der kokette Zynismus der ersten Alben verschwunden ist, "jedes Lied hat eine hoffnungsvolle Auflösung, das ist der rote Faden". Man könnte auch sagen: Der Verzicht auf die oft auf eine faustdicke Pointe zusteuernden Texte von Frank Ramond fällt positiv auf. Nahezu das komplette frühere Produzenten- und Komponistenteam wurde bis auf Hardy Kayser ausgetauscht. Stattdessen arbeitet Annett jetzt mit Annette Humpe, Ulla Meinecke, Wiglaf Droste, Kieran Goss und vielen weiteren Künstlern. "Die habe ich über die Jahre kennen- und schätzen gelernt."

Aber warum schreibt Frau Louisan bis auf das Calypso-Stück "Auf der Jagd nach Mr. Big" nicht mehr selber? Was unterscheidet sie von Ina Müller oder Barbara Schöneberger? "Unsere Stärken sind eben die Interpretation, das Füllen von Song-Entwürfen mit Leben und Charakter." Durch den dichten Zigarettenrauch werden Namen von großen, reinen Interpreten ("Edith Piaf! Frank Sinatra!") und kleinen, aber großartigen Komplett-Künstlern ("Sophie Hunger! José González!") diskutiert.

Das 105-Team winkt mit der Uhr, Annett winkt ab. Das vermeintliche Flüstermädchen erzählt und erzählt, sie ist nicht die Album-, sondern die Bühnenpersönlichkeit, charmant, fröhlich, kaum aufzuhalten. Keine Frau, an der "Vorsicht zerbrechlich" steht, oder? "Ich bin eher ein Gummiball. Ich falle manchmal tief bis zu einem großen Scherz, aber dann geht es auch wieder schnell aufwärts." So geht das bereits seit ihrem Debüt "Boheme" von 2004, und so verwundert es auch nicht, was für sie ein "Schöner starker Tag" ist, wie einer ihrer neuen Songs heißt: "Ein Tag mit Schlaf, der fehlt mir". Und "Schlaf (morgen früh bist du zurück)" ist nicht umsonst das beste Lied ihrer neuen Platte - eine Mischung aus potenziellem Bond-Titelsong und einer heimlich von Supertramp geschriebenen Beatles-Hommage. Vor allem live fiel sie vor wenigen Tagen im ausverkauften Knust angenehm aus dem doch eher ruhigen Rahmen der Studioversion.

"Ja, live will ich auch die Zuschauer in den letzten Reihen erreichen, da stehen mehr dynamischere Songs im Mittelpunkt." Nur zufällig stand der Autor dieser Zeilen im Knust in ebenjenen letzten Reihen. Und das - nur um es klarzustellen - bevor Annett Louisan rief: "Leute, mit denen ich schon mal Sex hatte, gehen bitte nach hinten."

Annett Louisan: "In meiner Mitte" CD (105 Music) im Handel; Konzert: 5.12., TUI Operrettenhaus, Karten ab 33,50 im Vorverkauf; www.annettlouisan.de