So war's. Kein Stuck, kein Plüsch, keine Putten: Vor 60 Jahren wurden die Grindelhochhäuser bezogen - der Aufbruch in die Moderne.

Hamburg. Als 1950 die ersten Wohnungen in den Grindelhochhäusern bezugsfertig waren, galt das nicht nur als städtebauliche Sensation, es war auch ein Symbol des Neuanfangs. Die Menschen, die nun nach und nach in jene Häuser einziehen konnten, die sich aus damaliger Sicht erstaunlich hoch über eine sonst noch weithin von Ruinen geprägte Stadtlandschaft erhoben, waren fasziniert von dem ungewohnten Komfort, der sie hier umgab. Hamburger, die oft jahrelang in Behelfsunterkünften gefroren hatten, fanden sich nun in lichtdurchfluteten Wohnungen mit Zentralheizung, fließendem warmen Wasser, Müllschlucker und Fahrstuhl wieder. "Wir wurden durchaus beneidet, denn diese Wohnungen waren nicht nur sehr komfortabel, sondern eben auch sehr modern und großzügig", erzählte die renommierte Übersetzerin Anna-Liese Kornitzky (1909-2000) im Dezember 1993 dem Abendblatt.

Die große Dame der Hamburger Übersetzer-Zunft, die als Astrid Lindgrens deutsche Stimme galt, gehörte zu einer Reihe von Künstlern, die in den frühen 1950er-Jahren in die Hochhaussiedlung einzogen. Auch die Malerin Gretchen Wohlwill (1878-1962), die die Nationalsozialisten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und als Vertreterin der Moderne verfolgt hatten, zog nach der Rückkehr aus dem Exil hier in eine der von der Kulturbehörde vermittelten Atelierwohnungen. Dass sie sich hier nicht nur wohlfühlte, sondern die Architektur auch schätzte und bildwürdig fand, zeigt ihr Gemälde "Grindelhochhäuser im Schnee".

Doch zunächst war das Bauvorhaben keineswegs zur Behebung der Wohnungsnot in Hamburg geplant worden - sondern als Quartier für die britischen Besatzungsbehörden. Am 12. Juni 1946 gab es den ersten Spatenstich für ein Bauprojekt, das nach dem Willen der Engländer einen völlig neuen Akzent im Hamburger Stadtbild setzen sollte. Geplant waren zwölf Hochhausscheiben mit acht bis 15 Geschossen, die Wohnungen für fast 5500 Menschen bieten sollten. Die "Gruppe der Grindelberg-Architekten", der Bernhard Hermkes, Rudolf Lodders, Rudolf Jäger, Albrecht Sander, Ferdinand Streb, Fritz Trautwein und Hermann Zess angehörten, projektierten das Ensemble gemeinsam und orientierten sich an der schon 1924 von Ludwig Hilberseimers propagierten Idee einer Hochhausstadt. Schon bald nach Baubeginn ruhten die Arbeiten jedoch wieder, weil die Alliierten sich entschlossen hatten, ihr Hauptquartier in Frankfurt zu errichten. Richtig los ging es erst im März 1948. Zuvor hatte der Hamburger Senat beschlossen, die Baustelle zu übernehmen und die Wohnhochhäuser wie geplant zu realisieren.

Als das Projekt zwei Jahre später Gestalt annahm, sorgte es deutschlandweit für Aufsehen. "Mit der Vollendung dieser Bauten, die auf den Betrachter unzweifelhaft eine faszinierende Wirkung ausüben, ist der Hochhausbau in Deutschland endlich aus dem Stadium der theoretischen Diskussion in das des praktischen Beispiels gelangt", berichtete die "Westdeutsche Allgemeine" 1950 aus Hamburg, als die beiden ersten Blöcke bezogen wurden. Die "Rhein-Neckar-Zeitung" titelte "Hamburg baut Wolkenkratzer" und wertete das gar als "ersten Schritt zu einem Elb-Manhattan", während das "Hamburger Echo" die moderne Hochhausstadt als "große Leistung architektonischer Kunst" würdigte. Das Abendblatt ging damals auf die Wohnverhältnisse und die Erfahrungen der Mieter ein. "Wir lieben sie schon, unsere neue Grindel-Stadt. Sie weckt keine Erinnerungen an Vergangenes. Es gibt hier keinen Plüsch. Aber sie schenkt uns ein neues Lebensgefühl, man kann hier freier atmen", wurde ein Bewohner zitiert.

Auch ausländische Zeitungen berichteten: "Die Bauten beherrschen das Bild, ohne es jedoch zu sprengen oder zu stören: Durch die geschickte Anordnung von hohen und mittelhohen Häusern findet eine harmonische Anpassung an die Umgebung statt", lobte zum Beispiel die "Neue Zürcher Zeitung". So neuartig wie die funktionalistische Architektur war Anfang der 1950er-Jahre auch die großzügige Gestaltung der Grünanlagen, auf denen mehrere Kunstwerke aufgestellt wurden, unter anderen die Skulpturen "Schwäne" von Karl-August Orth und der "Große Speerträger" von Fritz Fleer.

Die Euphorie der Bewohner ließ allerdings mit der Zeit nach, denn spätestens in den 1970er-Jahren wurde das einstige Vorzeigeprojekt immer mehr zum sanierungsbedürftigen Problemfall. Ein Teil der Anlage verfiel, das Umfeld wurde immer unwirtlicher. Kritiker sprachen nun von seelenloser Architektur. Da half es auch wenig, dass der gesamte Komplex 1979 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Von 1995 bis 2006 hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga die meisten Grindelhochhäuser aufwendig renoviert - heute leben hier etwa 3000 Menschen.