Das Phänomen Mario Barth endgültig zu ergründen, scheint unmöglich. Auch nach dem Auftritt in der O2 World - sein x-tes Gastspiel in Hamburg.

Hamburg. Die gute Nachricht zuerst: Die gewonnenen Erkenntnisse nach Marios zweistündigem Vortrag über das Leben eines Mannes, der auf einem beängstigend niedrigen Stand der Evolution verweilt und ein Leben mit geräuschvollem Stoffwechsel fristet, sind dieselben wie letztes Mal. Und vorletztes Mal. Und vorvorletztes Mal.

Ja, der inzwischen schon legendäre, dreifache Barth klappt immer: "Siehste!" - "Siehste!" - "Siehstee! O Mann, is' det geil!" Kreischendes Gelächter, Schenkelklopfen, Standing Ovations, "Mario"-Rufe und ekstatische "Yippies" in der O2 World, auch bei der x-ten Zusatzvorstellung. Und, ja, es geht weiter, 2011, eine neue Runde durch Deutschland, mit ollen Kamellen.

So soll es sein, damit die Barth AG funktioniert wie geschmiert. Damit das Merchandising mit Fußmatten und Spardosen jetzt kurz vor Weihnachten noch mal so richtig explodiert. Jetzt bloß nicht mit überraschenden Einsichten oder gar einer Pointe ein Publikum überfordern. Das Publikum. Sein Stammpublikum, das mittlerweile größtenteils in der Lage ist, die ausgedehnten, sinnfreien Passagen seines Programms lippensynchron mitzusprechen: Frauen können noch immer nicht einparken, sie reden ununterbrochen wirr, sie nehmen immer zu viel Gepäck mit (während Männern ein Flaschenöffner für den Urlaub reicht: "Echt" - "Is wahr!" - "Watt denn, det globste nich?"). Überhaupt schleppen alle Frauen reichlich unnützen Kram in überdimensionierten Handtaschen mit sich herum, sie klammern, vor allem wenn sie nicht menstruieren, besetzen unnatürlich lange die Abteilung für gebrauchte Getränke und legen - Skandal! - Fernbedienungen für Fernseher auf den Fernseher. Schweizer sind langsam, während alle Menschen mit türkischem Migrationshintergrund als Ordner, Paketboten oder im Supermarkt an der Kasse arbeiten beziehungsweise alle Ordner, Paketboten oder Kassierer im Supermarkt einen türkischen Migrationshintergrund besitzen, nur gebrochen und mit allergrößter Mühe verständliches Deutsch sprechen und mit den ihnen anvertrauten Aufgaben restlos überfordert sind.

Das ist der Grund, warum in Marios Endlosschleife "Männer sind peinlich, Frauen aber auch!" Pointen fehlen dürfen. Denn das, was er erzählt, kennt im Grunde jeder. Und muss sich ertappt fühlen. Und lachen, weil er sich schämt, aus Verlegenheit, genau so zu sein wie der ehemalige Elektroinstallateur da oben, der grimassierend und glucksend über die Bühne fegt und dabei einen Horizont offenbart, der gerade mal vom Bett bis zur Wohnungstür reichen dürfte. Und keinen Millimeter weiter.

Das ist auch die schlechte Nachricht: Wenn nämlich die wiederholte Aneinanderreihung uralter Klischees und Lebensweisheiten à la Dokusoap reicht, um die größten Stadien und Hallen der Republik immer wieder zu füllen, dann ist der Mangel an jungen Fachkräften in unserem Land wohl wirklich eklatant.

Dabei wirkt Marios Publikum weder wie aus dem gern zitierten Vokuhila-Holz geschnitzt, noch dünn angerührt. Sondern es isst die Currywurst-Pommes-Combo vorm Auftritt im Sitzen mit Messer und Gabel, schlürft Prosecco auf Eis dazu und bevorzugt Designerklamotten von Hilfiger und S. Oliver. Es hat auch die komatöse Ballermann-Phase hinter sich gelassen und liebäugelt eher mit 14 Tage all inclusive in der Dom Rep. Und die gepflegten Mittelklasseautos draußen auf den verschneiten Parkplätzen haben alle nagelneue Winterreifen, so wie vorgeschrieben. "Bestimmt!" - "Pass uff!" - "Is so, ganz echt!" Andererseits offenbart die unverwüstliche, kollektive Begeisterung über ein Feuerwerk aus konsequent hirnlosen Scherzen den tiefen Wunsch der Masse nach simplifiziertem, schmerzbefreitem Leben.

So ist Mario längst über den Status des "erfolgreichsten Komödianten Deutschlands" hinausgewachsen und zum Heilsbringer mutiert: zu einem Therapeuten, der die Massen zur Selbsterkenntnis führt, indem er sich selbst anklagt und ihnen so einen Spiegel vorhält. Besserung durch Reue und Einsicht - dabei müsste ein Mann, der keine anderen Probleme hat als eine Freundin, die immer mit einem Koffer zu viel in den Urlaub fliegt, eigentlich ziemlich zufrieden sein.

Zugutehalten kann man ihm jedoch, dass er sich penibel zurückhält, soweit es Beleidigungen betrifft. Politiker, Banker oder irgendwelche peinlichen Stars werden geschont, nein, Scherze auf Kosten anderer macht Mario nur über sich selbst - und geradezu lustvoll über "seine Freundin", die alles, aber auch wirklich alles weibliche Übel in sich zu vereinen scheint. Diese Scherze sind in ihrer Penetranz so hammerhart, dass man sich zu fragen beginnt, wieso Mario nicht schon längst überfahren wurde. Von eben seiner "Freundin", beim Versuch des Einwinkens in die Parklücke. Hätte doch wie ein Unfall ausgesehen.