Die Kunsthalle zeigt Zeichnungen, Druckgrafiken und Gemälden des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner.

Hamburg. "So expressiv, so aus dem Bauch heraus, wie viele meinen, war Kirchner gar nicht. Er hat nicht das gemalt, was er gerade gespürt hat. Seine Gemälde, die so spontan, schnell und unmittelbar wirken, sind in Wahrheit genau vorbereitet und geplant. Er hat nichts dem Zufall überlassen", meint Ulrich Luckhardt, der den expressionistischen Maler sogar scherzhaft als "Konzeptkünstler" bezeichnet. Luckhardt zeichnet in der Kunsthalle für die Klassische Moderne verantwortlich, gemeinsam mit seinem Kollegen Marcus Andrew Hurttig ist er Kurator einer Ausstellung, die im Hubertus-Wald-Forum (und mit Unterstützung der Hubertus-Wald-Stiftung) einen Überblick über Ernst Ludwig Kirchners bedeutendsten Schaffensphasen gibt.

Zu sehen sind überwiegend Zeichnungen und Druckgrafiken, aber auch Gemälde, wobei der ansehnliche Bestand der Kunsthalle durch ausgewählte Leihgaben ergänzt wird.

Eine Art "Ausstellung in der Ausstellung" sind zwölf großformatige Zeichnungen im einheitlichen Maß von 90 mal 69 Zentimetern, die zwischen 1906 und 1913 zunächst in Dresden und später in Berlin entstanden sind. Obwohl einige Motive, wie zum Beispiel Darstellungen der Moritzburger Teichlandschaft, eine spätere Entstehungszeit nahelegen, hat Kirchner die Blätter, die er als eigenständige Werkgruppe betrachtete, um einige Jahre vordatiert. Damit erschien der Maler expressionistischer, als er im Jahr 1906 tatsächlich gewesen ist.

Die Ausstellung ist chronologisch gegliedert, sie führt die stilistische Entwicklung des "Brücke"-Künstler Kirchner, der als einer der wichtigsten Protagonisten für den künstlerischen Aufbruch des 20. Jahrhunderts gilt, mit klug ausgewählten Werken vor Augen: vom Frühwerk aus der Dresdner Zeit mit architekturbezogenen Motiven, über die Berliner Stadtszenen, über die Sommeraufenthalte auf der Insel Fehmarn bis hin zum Spätwerk, das im Schweizer Davos entstanden ist.

+++ Eröffnung der Kunstmeile in Hamburg +++

Zu den interessantesten Aspekten der Schau gehört die Gegenüberstellung von Zeichnungen und später entstandenen Ölgemälden, die es erlaubt, Kirchners Schaffensprozess sehr genau nachzuvollziehen. Ein Beispiel ist das 1910 entstandene "Selbstbildnis mit Modell" aus dem Bestand der Kunsthalle. Daneben hängt eine farbige Kreidezeichnung, in der Komposition und Anordnung der Figuren schon weitgehend dem Gemälde entsprechen. In ganz anderem Licht erscheint eine frühere Kreidezeichnung: Während Kirchner sich später im Bademantel dargestellt hat, sind Maler und Modell in dieser eindeutig erotischen Darstellung nackt.

Auf ähnliche Weise lässt sich auch der Entstehungsprozess des Gemäldes "Gut Staberhof auf Fehmarn" verfolgen. Im Mittelpunkt steht eine Scheune, die Kirchner offenbar aufgrund ihres merkwürdigen, geradezu barock geschwungenen Giebels interessiert haben dürfte. Auf einer Bleistiftzeichnung hat er die Scheune mit einer Figurengruppe und einem links flankierenden Gebäude gezeichnet. Auf einer Kohlezeichnung erscheint die Scheune ohne Figuren, jedoch mit beiderseits flankierenden Gebäuden. Auf dem Gemälde schließlich verbindet er die symmetrische Komposition der Kohlezeichnung mit der Figurengruppe, die bereits in der Bleistiftzeichnung angelegt ist. "Ernst Ludwig Kirchner ist nicht von Motiv zu Motiv übergegangen, sondern hat sich oft über längere Zeiträume mit ein und demselben Thema beschäftigt und dieses variiert", erklärt Hurtig zur Arbeitsweise des "Brücke"-Künstlers.

Ein eigener Themenschwerpunkt ist Kirchner und Hamburg gewidmet, wobei die Beziehung zwischen dem Künstler und dem Hamburger Juristen, Kunstsammler und Kunstkenner Gustav Schiefler im Mittelpunkt steht. Schiefler gehörte zu den wichtigsten Förderern der Expressionisten, er nahm auch großen Einfluss auf die Ankaufspolitik der Hamburger Museen und Sammler.

Alle Bilder, die die Hamburger Kunsthalle von Kirchner besaß, wurden 1937 als "entartete Kunst" beschlagnahmt und verkauft. Sie befinden sich heute teilweise in anderen Museen, die Kunsthalle besitzt wiederum Werke des Künstlers, die sich bis zur Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten in anderen Museen befunden haben. Im lesenswerten Katalog wird auch dieses düstere Kapitel deutscher Kunst- und Sammlungsgeschichte thematisiert.

Hubertus-Wald-Forum , bis 16. Januar 2011, Di-So 10.00-18.00, Do bis 21.00, Katalog 29 Euro