Der Filmregisseur Claude Chabrol ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Der Chronist zeigte die kriminellen Energien einer bürgerlichen Welt.

Er war der Chronist der bürgerlichen Gesellschaft, als man diese noch ins Kino holen wollte. Ende der 50er-Jahre begann seine Karriere, als er mit anderen später erfolgreichen Kollegen wie François Truffaut und Eric Rohmer, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Louis Malle und Alain Resnais eine neue filmische Stilrichtung, neue Erzählstile erfand: die nouvelle vague. Diese Filmemacher wollten keine Literatur verfilmen, sie wollten Beobachtetes wieder erschaffen. Bei ihnen sah man die Welt plötzlich durch einen anderen Blick. Die Kamera drehte sich um 360 Grad, das Kunstlicht fehlte schon mal, man sah keine großen Stars mehr , die Darsteller sahen aus wie normale Menschen, die Geschichten spielten im ganz gewöhnlichen Alltag. Chabrol drehte mit geerbtem Geld seiner ersten Frau seine ersten Filme und hatte mit "Les cousins" 1959 sofort Erfolg.

Der filmische Alltag des Apothekersohns Claude Chabrol drehte sich um Apotheker, Politiker, Inspektoren, Richterinnen, Ehefrauen, allesamt Bürgerliche. Er erzählt unmenschliche Geschichten von Menschen , die unter Druck stehen. Nie geht es darum, etwas nicht getan zu haben, sondern nur darum, sich nicht erwischen zu lassen. Denn Claude Chabrols Filme waren fast alle Krimis. Sein großes Vorbild hieß Hitchcock. Knapp 70 Filme hat er gedreht, nur die Hälfte von ihnen, so hat er selbst gesagt, drehte sich ums unmoralische, düster-geheimnisvolle Bürgertum. Doch es waren seine besten. Allen voran die Filme, die er zwischen 1969 und 1973 drehte, Thriller aus der guten Gesellschaft die er "Die untreue Frau" nannte oder "Das Biest muss sterben", "Der Schlachter", "Der Bruch", "Vor Einbruch der Nacht" oder "Blutige Hochzeit".

In Claude Chabrols Filmen gab's - anders als heute - keine Weltraum- oder Endzeitkriege, es kämpften keine Monster gegeneinander, keine pubertierenden Jungs machten peinliche Scherze. Chabrol zeigte die ganz normale bürgerliche Welt und spürte hinter deren harmonischen Fassaden abgründige kriminelle Energien, Bigotterie und Gewalt auf. Er zeigte Menschen, deren Wünsche sich ständig im Wege stehen. Monster waren sie auch, doch sie ähnelten uns. Gier, Lüge, Eifersucht, Ehebruch, Scheinheiligkeit, Mord, Selbstsucht, Verlogenheit - all dies entlarvte er nüchtern und mit präzisem Blick als Perfektion einer bürgerlichen Fassade, die keine Moral mehr kennt. Meist spielten sich die Krimis über die Verlogenheit des Bürgertums in der Provinz ab, dort, wo die Fassade besonders wichtig war und das Brodeln dahinter besonders deutlich. Da bringt der Ehemann den Liebhaber der Ehefrau um ("Die untreue Frau") und diese, als sie den Beweis für die Tat in Händen hält, strahlt. Denn das glückliche Ehepaar, das können sie nun weiter spielen. Vielleicht sogar mit mehr Leidenschaft. Da will eine Frau gemeinsam mit ihrem Geliebten den Ehemann ermorden (Romy Schneider spielte diese Frau in "Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen"), doch darüber findet das Ehepaar wieder zueinander. Da vermutet eine Lehrerin im netten Schlachter einen Massenmörder ("Der Schlachter"), und Provinzpolitiker gehen aufs Ganze, um Karriere zu machen ("Blutige Hochzeit"). Rainer Werner Fassbinder hat Chabrols smarte Mörder, die in ihren schnieken Landhäusern Personal haben, gepflegte Essen geben und feine Manieren vorführen, "unmenschlich" genannt. Nein, das sind sie nicht. Sie sind Menschen, die man auf den Vermischten-Seiten der Zeitungen findet oder über die man hinter vorgehaltener Hand beim Charity-Dinner lästert.

Der Chronist des Bürgertums feiert 80. Geburtstag

Chabrol hat gern mit Darstellern wie Michel Bouquet oder Michel Piccoli gearbeitet. Doch der Mann, der sich als "überzeugter Feminist" bezeichnete ("Ich habe keinen Schimmer, wie sie es überhaupt mit uns aushalten"), konnte am besten mit und über Frauen erzählen. Jahrzehntelang war ihm seine einstige Ehefrau Stephane Audran eine perfekte Darstellerin der unter einer gefassten Oberfläche lauernden Gier und Leidenschaft. Danach gab es vor allem Isabelle Huppert, die bei ihm mal Flittchen, mal Engelmacherin, mal Giftmischerin oder Gangster war und die der Regisseur gerne auch mal eine Bibliothek (als Inbegriff bürgerlicher Kultur) zusammenballern ließ ("Das Leben ist ein Spiel").

Im Juni war Claude Chabrol 80 Jahre alt geworden. Er liebte gutes Essen, schwarze Komödien, soziale Satiren, bürgerliche Dramen, ironische Thriller. Produktiv war er bis ins Alter. Fast jedes Jahr drehte er einen Film, seinen letzten, "Bellamy" über einen französischen Inspektor, 2009 mit Gerard Depardieu. Gestern ist Claude Chabrol gestorben.