Mit “Mezzanotte“ legt Ulrich Tukur eine wunderschöne Platte mit Liedern zur Nacht vor. Für Sehnsüchtige, Flaneure, Liebes- und Schnapstrunkene.

Hamburg. Es gibt Menschen und Musik, die sind aufs Charmanteste aus der Zeit gefallen. Die setzen unseren gehetzten Tagen eine anachronistische Note entgegen. Die bringen sie zum Schwingen, die feinen und großen Gefühle, die nicht nur kurz im Hype hochkochen, sondern beständig sind, auch mal nostalgisch und kitschig.

Der Hamburger Schauspieler, Autor und Musiker Ulrich Tukur hat mit seiner heute erscheinenden Platte "Mezzanotte" ein solches Kleinod von dauerhaftem Wert geschaffen. Und in den Liedern, die er mit Orchester eingespielt hat, wagt er direkt den doppelten Zeitsprung. Zum einen pflegt Tukur seine hinlänglich bekannte Liebe zum Schlager, Swing und Chanson der 20er- bis 40er-Jahre. Zum anderen widmet er sich in 17 Interpretationen und zwei Eigenkompositionen nicht dem Tag, dem Klaren, Funktionalen, sondern wandelt singend durch die Nacht, durch diese dunkle, sternen- und laternenbeschienene Projektionsfläche.

"Das, was am Tage hell ausgeleuchtet ist, profan und erdgebunden, das verliert sich in der Nacht in der Unendlichkeit", erzählt Tukur. Das Hemd ist geringelt, der Anzug von lässigem Schick, der Blick aufgeweckt. Nachts, schwärmt der 53-Jährige weiter, seien die Sinne ganz anders geschärft. Auch für die Abgründe. Für Tod, Liebe, Rausch, Verbrechen. Und all diese nocturnen Rollen, den Sehnsüchtigen, den Flaneur, den Liebes- und den Schnaps-Trunkenen, durchläuft Tukur mit seiner Tenorstimme famos, teils auch in Italienisch, Französisch und Englisch.

+++ Hörprobe von Mezzanotte: Ein Kuss um Mitternacht +++

Keck intoniert er Werner Bochmanns "Du und ich im Mondenschein" , der mit dem Vers "Ach, irgendwas möcht ich heute erleben" das passende Credo für Nachtschwärmer liefert. In der reduzierten Nummer "Nachts ging das Telephon" von Willi Kollo aus dem Jahr 1937 trägt Tukurs Gesang hingegen eine intime Einsamkeit. Roger Ciceros Bigband-Leiter Lutz Krajenski hat die Lieder so arrangiert, dass sie ihre historische Eleganz bewahren, zugleich aber frisch, frech und frei klingen.

Neben Evergreens wie "Lili Marleen" lag es dem leidenschaftlichen Schellackplattensammler Tukur vor allem am Herzen, verborgene Songschätze zum Thema Nacht ans Licht zu bringen, darunter auch den beschwingten Ohrwurm "Mitternacht, Mitternacht", der "Mezzanotte" eröffnet.

Seine eigene Dichtung, die Piano-Ballade "Die Großstadt träumt", weht im expressionistischen Geiste Mascha Kalékos herüber. Da schleicht auch mal ein Päderast durch den Park. Und "aus dunklen Schächten quillt der U-Bahn-Nebel". Die mysteriöse Seite der Nacht, sie biedert sich niemandem an. Nicht dem Zeitgeist. Und auch nicht dem Tag.

Ulrich Tukur: "Mezzanotte" (Deutsche Grammophon), Konzert: 30.10., 20.00, St.-Pauli-Theater, Karten zu 17,80 bis 53,- unter T. 47 11 06 66; TV: heute, 22.45 Uhr, NDR, "3 nach 9" (Talk)