Der traditionsreiche Verlag Suhrkamp feiert seinen 60. Geburtstag. Die Querelen um die Herrschaft an der Verlagsspitze, schaden aber.

Hamburg. Sie sind bestimmt leicht auffindbar, die Oberstudienräte mit den zauseligen Haaren und dem so stimmigen Farbenspektrum im Regal. Regenbogenfarben glänzte die Edition Suhrkamp, mit der das traditionsreiche Haus die "Suhrkamp-Kultur" beförderte und die Bundesrepublik prägte, um George Steiners berühmtes Wort aus dem Jahr 1973 zu zitieren. Nun dürften die Deutschlehrer weiter in ihrem Brecht oder Rühmkorf schmökern, wenn die nächste Klassenarbeit konzipiert werden muss. Aber ob die Ehrfurcht vor der geistigen Institution noch so vorhanden ist wie früher?

Sicher, sie gesellt sich freilich neben den beunruhigenden Gedanken an Seifenopern. Denn der Suhrkamp Verlag , der in diesem Jahr 60 Jahre alt wird, hat in den vergangenen Jahren Schlagzeilen eher nicht mit seinen Büchern gemacht . Suhrkamp hat Denver Clan gespielt, oder Dallas. Es gibt eine Verlagschefin, die seltsame Interviews gibt und Autoren verprellt. Den Sohn des alten und hochverehrten Verlegers, der aus dem Verlag gedrängt wurde. Machtkämpfe, Intrigen und Getöse um den Wegzug aus Frankfurt, Suhrkamp residiert jetzt im Prenzlauer Berg zu Berlin.

Dort soll der Ehrentag auch am 28. August gefeiert werden, wenn Suhrkamp zum jährlichen Sommerfest lädt. Was man sich da wohl erzählen wird? Würdenträger der Stadt dürften sich und dem Verlag zur Umsiedelung beglückwünschen, klar. Die, die dem Verlag seit vielen Jahren verbunden sind, werden allerdings mit Wehmut an den 50. Geburtstag zurückdenken, als der Chef Siegfried Unseld noch lebte und nicht seine Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz die Geschicke des Verlags in der Hand hielt. Wäre alles noch beim Alten, man würde sich über die idealistische Unternehmensgrundlage Suhrkamps unterhalten (nach dem Unseld-Wort: "Wir verlegen keine Bücher, wir verlegen Autoren") und nicht über das jüngste Buch Norbert Gstreins. Das heißt bekanntlich die "Die ganze Wahrheit" (siehe nebenstehende Kritik) und ist ein Schlüsselroman, der die aus mancherlei Blickwinkel betrachtet absurden und intriganten Vorgänge kaum verhüllt ausstellt. Im Mittelpunkt der Betrachtungen: eine Verlegerwitwe.

Ach, Ulla!

Das mag der ein oder andere ausrufen angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre. Längst stellen Literaturkritiker und Leute aus der Kulturbranche fest, dass der von Peter Suhrkamp am 1. Juli 1950 gegründete Verlag seine Rolle mittlerweile eingebüßt hat. Es war die Rolle der intellektuell maßgeblichen, auf ästhetische und gesellschaftliche Impulse zielenden Buchfabrik. Die Backlist Suhrkamps ist beeindruckend, sie zeigt, wer hier die Bundesrepublik literarisch und geisteswissenschaftlich geprägt hat wie niemand sonst: Brecht, Uwe Johnson, Martin Walser, Max Frisch, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas - unter anderem. Von den ausländischen Autoren erschienen nur die Größten bei Suhrkamp: Marcel Proust etwa, oder James Joyce. Verlagsgründer Peter Suhrkamp starb bereits 1959.

Danach kam Siegfried Unseld ans Ruder. Er hatte über Suhrkamp-Autor Hermann Hesse promoviert, und der vermittelte den jungen Literaturwissenschaftler nach Frankfurt. Der Rest ist (Literatur-)Geschichte und für Literaturverrückte ein an Höhepunkten reicher Film, nachzuschauen besonders in den Bekenntnissen Unselds ("Der Autor und sein Verleger") und den Briefwechseln, die das literarische und wirkliche Leben der Republik abbildeten. Wer Bücher und Gedanken liebt, wer wissen will, wie sie entstehen, wer etwas über die Eitelkeiten des Betriebs erfahren will, der muss Unselds Briefwechsel mit Uwe Johnson oder Thomas Bernhard lesen. Natürlich hat Suhrkamp auch in jüngerer Vergangenheit große Literatur hervorgebracht (Uwe Tellkamps "Der Turm"). Man findet trotzdem viel Durchschnitt in den Programmen. Ein Vorzeigeverlag ist Suhrkamp schon lange nicht mehr.

Die Querelen, das quälende Drama um die Herrschaft an der Verlagsspitze, schadete Suhrkamp nachhaltig. Selten war besser zu besichtigen, wie sehr das Gedeihen eines Projekts mit den handelnden Personen zu tun hat. Die frühere Schauspielerin und nachmalige Autorin Unseld-Berkéwicz boxte, nachdem Unseld-Sohn Joachim sich aus dem Verlag kaufen ließ, gegen immense Widerstände in der Belegschaft den Umzug nach Berlin durch. Einige Führungskräfte gingen, und auch die Autoren konnten nicht alle gehalten werden, neben Gstrein ging zum Beispiel auch Wunderkind Daniel Kehlmann. So sind die Zeiten, in denen der Verlag der Nobel- und Büchner-Preisträger ausschließlich mit der Schönheit der Sätze, der Brillanz der Ideen und der Schärfe der Beobachtungen Schlagzeilen machte, fern wie das Glitzern der Wasseroberfläche bei bedecktem Himmel. Die Wolken könnten jedoch irgendwann verziehen: Wenn der Verlag in der Hauptstadt wieder zum Kraftzentrum des literarischen Lebens wird.

Im Suhrkamp-Shop in Berlin-Mitte standen die regenbogenfarbenen Bändchen in nüchterner, weißer Umgebung, man schaute ganz automatisch auf sie. Jetzt hat der "Pop-Up-Store" schon wieder zu, wie von Anfang an geplant.