“London Nights“ erzählt von schwieriger Sinnsuche in der britischen Hauptstadt

Wenn Axl (Fernando Tielve) die Augen aufschlägt, weiß er im ersten Moment nie, wo er sich gerade befindet. Und was am Abend vorher passiert ist. Aber der schmale Junge mit den dunklen Locken findet immer einen barmherzigen Samariter, wenn er sich wieder mit Litern von Bier den nächsten Filmriss besorgt hat. Der junge Spanier ist nach London gekommen, um seinen Vater zu finden, der seine Mutter verlassen hat, als er drei Jahre alt war. In dem gleichen besetzten Haus, in dem Axl Unterschlupf gefunden hat, ist auch Vera (Déborah François) gestrandet. Die junge Belgierin hat ihre Heimat auf der anderen Seite des Ärmelkanals verlassen, um ihre letzte gescheiterte Liebe zu vergessen. "What am I doing here?" schreibt sie mit Bleistift in ihr Moleskin-Buch. Auch sie ist eine Suchende.

"London Nights" heißt Alexis Dos Santos' Film in Deutschland. Macht sich auf dem Kinoplakat griffig, doch das Original "Unmade Beds" klingt viel poetischer und geheimnisvoller als der neue plakative Titel. Der Argentinier, der in diversen europäischen Großstädten lebte und sich jetzt in London niedergelassen hat, lässt seine Geschichten zwar im dortigen East End spielen, doch das Lebensgefühl, das er transportiert, würde auch zu Berlin, Paris oder Barcelona passen. Es geht um junge Menschen, die noch kein Ziel vor Augen haben. Die noch nicht wissen, was sie studieren oder arbeiten wollen. Die sich finden müssen und sich erst einmal auf eine Wanderschaft begeben haben, weg von ihrem alten Leben, von beengten familiären Strukturen. Axl und Vera werden noch in vielen ungemachten Betten aufwachen, manchmal allein, manchmal in den Armen eines anderen Mannes oder einer anderen Frau. Manchmal betrunken, manchmal ratlos, oft melancholisch.

Dos Santos, der bisher einige Musikvideos gedreht und in der Werbebranche gejobbt hat, vergleicht seinen Film mit zwei Kartons: "Diese Schachteln könnten in einer leeren Lagerhalle stehen, und sie wären voll mit Bildern, Polaroids, CDs, Tagebüchern, Konzerttickets, Comics, Zeichnungen und einer Menge leerer Flaschen. Die eine Schachtel würde Axl gehören, die andere Vera." Aus all diesen kleinen Dingen setzt der Regisseur die Persönlichkeit seiner beiden Hauptfiguren zusammen. Nach und nach erfährt der Zuschauer etwas über die beiden Hauptpersonen und begleitet sie bei ihren Trips durch die englische Metropole.

Wenn Axl wieder nüchtern ist, fahndet er nach seinem Vater und findet ihn letztlich auch. Doch es ist für ihn ein schmerzlicher Erfolg. Längst hat dieser eine neue Familie, an seine Zeit in Spanien erinnert er sich kaum noch. Axl ist das Resultat einer Affäre. Seine Suche ist erfolgreich, doch sie hat einen faden Beigeschmack, weil der Vater den Sohn nicht erkennt. Veras Suche nach neuem Glück verläuft mehr oder minder positiv. Sie trifft den "Röntgen-Mann" (Michiel Hulsman), einen schlaksigen Holländer, der sich als Singer/Songwriter in den vielen Pubs und Musikkneipen durchschlägt. Eine Romanze beginnt unter der Voraussetzung, dass keiner wissen darf, wer der andere ist. Man trifft sich von Verabredung zu Verabredung. Doch dann platzt eines der Treffen und Vera weiß nicht, wo sie den zärtlichen Jungen wiederfinden soll.

Alexis Dos Santos' flüchtige Momentaufnahmen sind auch eine Hommage an das Londoner East End mit seiner multikulturellen Bevölkerung, seinen heruntergekommenen Straßen, aber auch mit seiner kreativen Lebendigkeit.

Hier verbinden sich zeitgenössische Musik und Kunst, hier kreuzen sich die Wege von jungen Leuten: Studenten, Herumtreiber, Musiker, alle auf der Suche nach einer geilen Party und einer billigen Unterkunft. Als Dos Santos mit dem Drehbuch für "Unmade Beds" begann, wurde er weniger von Filmen angeregt als von anderen künstlerischen Formen. Er selbst bringt in einem Interview gut auf den Punkt , was ihm mit seinem zweiten Film gelungen ist: "Es ist, als würden Fotos von Nan Goldin zu einem Soundtrack von Daniel Johnston zusammengestellt."

Bewertung: empfehlenswert London Nights Großbritannien 2008, 97 Minuten, ab 12 Jahren, R: Alexis Dos Santos, D: Fernando Tielve, Déborah François, Michiel Hulsman, Iddo Goldberg, Richard Lintern, täglich im Abaton (OmU), Zeise; www.koolfilm.de