“O nein, nicht schon wieder sie“, sagte Meryl Streep über sich selbst als Gewinnerin. Das Abendblatt traf die Schauspielerin zum Interview.

Es geht um Minuten. Das Interview mit Meryl Streep bei der Berlinale wird klappen, im Zeitfenster von 12.02 bis 12.17 Uhr. Die Kollegen sind etwas aufgeregter als sonst, selbst Anke Engelke muss sich mit ihrem Team vom "Morgenmagazin" ganz normal in die Reihe der Wartenden einreihen.

Beim Gespräch ist Meryl Streep dann im Gegensatz zu ihrer hektischen Entourage die Freundlichkeit und Souveränität in Person. Sie trägt ein schlichtes schwarzes Kleid, ihre blonden Haare hat sie locker nach hinten gekämmt, durch ihre getönte Brille guckt sie freundlich-amüsiert. Sie sieht jünger aus als 62. Beim Händeschütteln fragt sie jeden nach seinem Vornamen und wiederholt den noch einmal, als sei ihr jeder Einzelne wichtig. Das Gespräch scheint ihr Spaß zu machen, die Zeit vergeht wie im Flug. Am Ende entschuldigt sie sich sogar, dass das Interview schon vorbei ist.

Hamburger Abendblatt: Warum wollten Sie nach Ihrer Rolle als Althippie im ABBA-Film "Mamma Mia!" ausgerechnet diese umstrittene Politikerin verkörpern?

Meryl Streep: Weil Drehbuchautorin Abi Morgan, Regisseurin Phyllida Lloyd und ich genau den Film machen konnten, den wir wollten. Wir wussten beim Drehen schon, dass er kontrovers aufgenommen werden würde. Die Gebrechlichkeit von Margaret Thatcher hat uns interessiert, da wollten wir beginnen. Es geht um das Ende der Macht und darum, was der ersten Regierungschefin der westlichen Welt am Ende ihres Lebens bleibt. Welchen Preis hat sie bezahlt? Wir wollten zeigen, wie sie in Träume des Ruhms und des Bedauerns verfällt und wieder erwacht.

Sie haben 1980, Thatcher war ein Jahr im Amt, in Großbritannien "Die Geliebte des französischen Leutnants" gedreht. Wie war die Stimmung im Land?

Streep: 1979 wurde mein erstes Kind, Henry, geboren. Das war damals meine ganze Welt. Ich habe ihn bei den Dreharbeiten noch gestillt und überhaupt nicht über Thatcher nachgedacht.

Ist sie eine Schurkin oder eine Heldin?

Streep: Alles an ihr ist faszinierend. Sie wurde 1979 zur Chefin einer antisemitischen, homophoben, dem Klassendenken verhafteten konservativen Partei gewählt, in der Frauen sonst nur Tee servierten. Nur 17 Parlamentsmitglieder waren Frauen, neben 635 Männern. Wie hat es sich angefühlt, das Unterhaus zu betreten? Was brauchte man, um dort Aufmerksamkeit zu fordern? Was wäre geschehen, wenn sie geweint hätte? Warum hat sie nie gelacht?

Haben Sie Antworten gefunden?

Streep: Für mich ist sie ein menschliches Wesen, das man von allen Seiten betrachten muss. Was hat sie so überheblich, hart, entschlussfreudig und sicher gemacht? Alle diese Dinge, die zu ihrem Fall beigetragen haben, waren auch Gründe, warum die Briten sie für elfeinhalb Jahre gewählt hatten. Das ist außergewöhnlich. Sie haben sie nie abgewählt, auch wenn man sagt, jeder habe sie gehasst. Es ist sehr schwer, Leute umzustimmen, die sich ihre Meinung über sie schon gebildet haben.

Jetzt haben Sie die Frage elegant umgangen, was Sie über ihre Politik denken ...

Streep: Je mehr ich über sie las, desto mehr überraschte sie mich. Sie war für mich nur eine Freundin von Ronald Reagan. Da wusste ich noch nicht, dass sie als einer der ersten Politiker die Amerikaner vor der globalen Erderwärmung gewarnt hatte. Sie war dafür, dass jede Frau wählen können sollte, ob sie eine Abtreibung vornehmen lässt.

So eine liberale Einstellung sucht man heute bei vielen US-Politikern vergebens.

Streep: Ich habe eine Frau getroffen, deren Vater dabei war, als Thatcher Präsident George Bush senior und Vizepräsident Dan Quayle bei einem USA-Besuch gewarnt hat, die Abtreibungsfrage als politischen Spielball zu benutzen. "Was nehmt ihr euch heraus? Das geht euch überhaupt nichts an!", soll sie geschimpft haben. Es ist auch interessant zu sehen, welche Folgen es hat, dass die Briten ihre Währung behalten haben. Viele sind Thatcher dafür jetzt dankbar. Sie hat die Macht der Gewerkschaften beschnitten. Ich bin selbst Gewerkschaftsmitglied und habe Lobbyarbeit für die Vereinigung der beiden Schauspielergewerkschaften in den USA betrieben. Es gab 1979 in Großbritannien staatseigene Betriebe, in denen die Gewerkschaften die Dinge schwierig machten. Großbritannien war damals ein sinkendes Schiff. Es hätte wie Griechenland enden können.

Nach ihren ersten Auftritten im Unterhaus wurde Thatcher für ihre hohe Stimme veralbert: "Die Lady kreischt zu viel", hieß es. Danach nahm sie Unterricht bei einem Sprachlehrer. Wie war die Wirkung?

Streep: Für sie war es wichtig. Ihr Attaché hat Laurence Olivier um Hilfe gebeten, aber der hat abgelehnt und sie an jemand anderen verwiesen. (Streep schraubt ihre Stimme hoch und quietscht): "Wenn Sie so reden, wird Ihnen niemand zuhören." Sie musste lernen, ihre Leidenschaft tiefer unter ihren Solarplexus zu legen.

Wie haben Sie sich für die Rolle motiviert?

Streep: Ich habe einfach nur versucht, so nah wie möglich heranzukommen, wie sie sich der Welt präsentiert hat. Das hat ja diesen Hass, diese Furcht und bei den Konservativen auch die Bewunderung ausgelöst. Da habe ich mich sozusagen um die archivarische Wahrheit bemüht. Die Darstellung der älteren Dame war dann eine Sache meiner Fantasie, da konnte ich einbringen, was ich über das Alter weiß. Die alte mit der jüngeren Margaret Thatcher zu verbinden und daraus eine Frau zu machen hat viel Spaß gemacht.

Ambitionen braucht man als Politiker wie auch als Schauspieler. Sind Sie sich am Ende gar nicht so unähnlich?

Streep: Für mich ist eher der Wunsch entscheidend, etwas gut zu machen und mich in der Arbeit zu verlieren. Schauspieler laufen von Pontius zu Pilatus, irrlichtern herum. Man ist ständig arbeitslos, bekommt ab und zu einen Job. Politiker sind da anders. Margaret Thatcher hat ein Ziel. Sie ist wie eine Athletin und denkt: Wenn ich besser werde, kann ich dies und das erledigen.

Obwohl der Film in Großbritannien kontrovers aufgenommen wurde, haben Sie den britischen Filmpreis BAFTA als beste Hauptdarstellerin gewonnen. War es ein spannender Abend?

Streep: Es war schwer, den Saal zu betreten, und unglaublich erfreulich, diesen BAFTA zu gewinnen. Schon bei der Einreise beim Zoll war es komisch. (Hier liefert sie eine Mini-Performance: Sie spielt sich selbst und einen skeptischen britischen Zollbeamten, wechselt dabei mühelos die Stimmlagen und vom britischen ins amerikanische Englisch.) "Was ist die Absicht Ihres Besuchs?" "Ich mache hier einen Film." "Oh, wirklich? Worum geht es?" "Ich mache einen Film über Margaret Thatcher." "Sie? Wen spielen Sie denn?" "Margaret Thatcher." Er war ungläubig, knurrte "okay". Die Erwartungen waren also hoch, die Befürchtungen auch.

Sie haben zahlreiche Oscars, Golden Globes und einen Goldenen Bären gewonnen. Sind Sie da vorher noch aufgeregt?

Streep: Es ist wie bei einem Sportereignis. Man kann sich nicht dagegen wehren. Sie wetten in Las Vegas auf dich. Man fühlt sich wie ein Pferd. Es dreht sich alles um dein Aussehen, die Haare, das Make-up, das Kleid. Das genieße ich überhaupt nicht, ich hasse es. Aber ich genieße es sehr, zur Oscar-Verleihung zu gehen und meine Freunde wiederzusehen. Mittlerweile habe ich nämlich mit fast jedem gearbeitet. Auszeichnungen sind unwirklich, ich hangele mich von Job zu Job, porträtiere dabei Frau um Frau. Jede ist 1,68 Meter groß, alle fühlen sich gleich wichtig an. Es gibt viele Gefahren in meinem Beruf, und ich bin stolz, dass ich ihnen so lange widerstanden habe. Aber ich bekomme die Auszeichnungen auch, weil mir so viele Leute Jobs gegeben haben. Die Welt ändert sich für Frauen, und 2012 ist schon ganz anders als 1979, als Thatcher zu regieren begann.

"Die Eiserne Lady" kommt am Donnerstag ins Kino. Am Mittwoch um 20 Uhr zeigt das Abaton eine Preview.

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