Der Sieger unseres Romanwettbewerbs heißt Dietrich von Horn und lebt in Bargteheide. Genau dort haben wir ihn getroffen. Ein Porträt.

Früher, also: ganz früher, wurden Verstorbene in Baumsärgen begraben. Steine drüber. Und Erde. Solch ein Hügelgrab, wie es die Germanen vor mehr als 2500 Jahren als letzte Ruhestatt bevorzugten, befindet sich in Bargteheide. Dietrich von Horn, 67, kraxelt über den flachen Zaun, der den historischen Ort umgibt, und schüttelt den Kopf. "Soll das hier beschützt werden? Na ja, ist schon komisch", sagt er und lehnt sich an eine der alten Buchen, die irgendwann jemand gepflanzt hat.

Wir sind mit Herrn von Horn, der sich selbst als Zugezogenen bezeichnet, in seinem Heimatort unterwegs. Es ist ein Ort, der zu groß für ein Dorf ist und zu klein für eine Stadt; dieses Bargteheide besitzt seit 1970 das Stadtrecht, übrigens. Das mitzuteilen beeilt sich von Horn durchaus, und dann wird er von einer Dame angesprochen, die auf ihrem Fahrrad durch den Matsch heranfährt und fragt: "Sind Sie von der Archäologischen Gesellschaft?" Nein, sagt Dietrich von Horn.

+++ Das Buch +++

Er steht da jetzt mal nur so herum. Ach so, sagt die Dame, und weiter: "Ich bin nämlich ab morgen für das Hügelgrab zuständig." Eigentlich erwartet man jetzt, dass von Horn wieder lacht. So, wie er in den vorangegangenen Minuten stets gelacht hat, als er uns die Schönheiten Bargteheides zeigte. Und so, wie er beim Verfassen seines Manuskripts gelacht haben muss. Dietrich von Horn, pensionierter Hauptschullehrer und Hobby-Maler, ist der Sieger des Hamburger-Abendblatt-Wettbewerbs: Er hat, wie wir finden, den besten norddeutschen Roman geschrieben. Dieser heißt "Aber sonst ist eigentlich nicht viel passiert" und ist eine ganz und gar köstliche Angelegenheit.

In vielen Episoden wird dort von dem Miteinander der Menschen in der Provinz erzählt. In einem Ort, der Bargteheide sein könnte, aber fiktiv ist und den Namen Großlüttsee trägt. Lebendig ist der, übrigens. Keine museale Anmutung, nirgendwo Grabesstille.

+++ Der Wettbewerb +++

Im Gegenteil: Es wird viel geschnackt in von Horns Roman, und der Leser hört überall mit. Als wäre von Horn, der neugierige und warmherzige Erzähler, über Zäune und Mauern in die Wohnzimmer der Großlüttseer gestiegen. Was er dort findet, sind Menschen, die so normal sind wie du und ich und dabei doch auch skurril; liebenswürdig und stolz nicht zu vergessen.

Männer, die ihre Frauen an der Tankstelle stehen lassen; Bauern, die benachbarten Spätaussiedlerinnen nachstellen; und Pensionäre, die sich den Underberg-Trinkern in der freien Wildbahn anschließen. Eigentlich sollte der Roman "Vom Leben, Lieben und Sterben der Menschen von Großlüttsee" heißen (was dem Lektor zu sperrig war). Und auch, wenn tatsächlich gestorben wird, ist er doch vor allem lustig: Weil das Leben auf dem Land auch eine Ansammlung von seltsam komischen Momenten ist.

Die Frau auf dem Fahrrad, die wir nicht mehr fragen können, inwiefern sie denn für das alte Germanengrab verantwortlich ist, weil sie so schnell wieder weg ist, diese Frau und diese Episode könnten so in von Horns Buch stehen. Aber anders als in der Realität würde sich von Horn dort als jemand ausgeben, der tatsächlich von der Archäologischen Gesellschaft kommt: Mal schauen, was sich aus dieser kleinen Lüge so ergibt, bestimmt etwas Witziges.

+++ Die Norddeutsche Reihe +++

Der Autor Dietrich von Horn lebt mit seiner Frau in einer Straße nahe der in Bargteheide weltberühmten Sehenswürdigkeit. Die Straße trägt den Namen "Am Hünengrab", denn die germanischen Gräber sind im norddeutschen Volksmund genau das: Begräbnisstätten für Riesen.

Von Horn ist kein Riese, aber immerhin ein groß gewachsener Mann. Deshalb steht er auch recht stabil neben der Buche auf dem Hügel. Er ist ein Mann mit grauem, halblangem Haar. Heute trägt er eine rote Jeans, einen roten Schal und eine schwarze Lederjacke, das hat etwas von lässigem Künstlertyp. Entspricht also dem, was Dietrich von Horn auch ungefähr ist.

Er kurvt mit dem Auto durch den Ort, in dem er seit vier Jahrzehnten lebt, zeigt hierhin und dorthin. Wir blicken in der Rathausstraße auf Geschäfte, die den Charme des Kleinen, Nahen, Vertrauten haben: Radsport Runge, Ranckes Köstlichkeiten, Friseur Baas, Leandra Lingerie.

Dietrich von Horn sagt: "Man muss doch den von gegenüber kennen, sonst ist das doch gar nicht auszuhalten."

Eppendorf sei doch auch ein Dorf; und Hamburg eine Ansammlung von Dörfern, findet von Horn. Er hat eine herrlich schnoddrige Art, zu reden, und wenn man nicht aufpasst, hat man die nächste Pointe schon verpasst. So schreibt er übrigens auch, und die Inspiration kommt natürlich von nichts anderem als dem Leben selbst. Er höre nicht mehr so gut (Lehrerkrankheit, na klar), sagt von Horn, er hält sich dabei die Hand hinters Ohr.

+++ Roman-Wettbewerb: Die Magie des ersten Satzes +++

So sitzt er oft in Cafés, wenn er hören will, was die Menschen am Nebentisch sagen. Dort werden nämlich immer die besten Geschichten erzählt.

Geschichten, die er aufschreibt. Ins Anekdotenhafte wendet, zu tieferen Wahrheiten verdichtet oder lakonisch für das stehen lässt, was das Leben ausmacht, seine alltäglichen Seiten und seine besonderen. Von Horn jagt nach diesen Geschichten, die allgemein Menschliches ausdrücken. Und weil Komik Tragik in Spiegelschrift ist, ist das, was einem dann und wann zustößt, oft traurig und aberwitzig zugleich: So sieht es von Horn, der die Menschen und ihre Geschichten ernst nimmt.

Und er nimmt Bargteheide ernst. Das erste Statement unseres Stadtführers war übrigens so trocken wie dieser ganze norddeutsche Urtyp, der da vor uns steht: "Bargteheide ist okay. Kann man machen, muss man aber nicht." Er lästert, aber stets schimmert liebevolle Zuneigung durch. Er ist ironisch, zum Beispiel wenn er über die Kunst-Szene der Kleinstadt spricht ("Die Ausstellung im Stadthaus interessiert kein Aas, aber trotzdem wird eines meiner Bilder geklaut!"), und er lacht über die "Neugotik" in Bargteheide: all die rot verklinkerten Neubauten, die die alten Bauernhäuser verdrängen.

Er lacht überhaupt viel und immer auch über sich selbst. Aber wenn man selbst spöttisch über die Provinz im Allgemeinen und Bargteheide im Besonderen redet ("Gibt es hier überhaupt gesellschaftliche Ereignisse?"), verteidigt von Horn es sofort. So ist der Mensch: Er liebt, meistens, den Ort, in dem er lebt. Er ist mit diesem Zuhause verbunden. Es ist das, was man kennt, was einem vertraut ist.

Manchmal, erzählt von Horn, "läuft der Buck hier noch herum, Detlev Buck, Filmemacher". Und der Kross, das weiß der Bargteheider Kulturmensch von Horn selbstverständlich, "der David Kross hat hier Theater gespielt, bevor er als Schauspieler bekannt wurde". Von Horn zeigt mit der Hand auf das Gebäude, in dem das Theater ist. Mit seinen Kollegen vom Kunstkreis, das sind gut ein Dutzend Leute, trifft er sich oft im alten Stellwerk am Bahnhof: eine Künstlertruppe, zu deren Ausstellungen einige Dutzend Leute kommen. Das Stellwerk steht direkt am Gleis, klein sieht es aus. 200 Züge fahren täglich durch Bargteheide. Auch der von Kopenhagen nach Paris kommt hier vorbei. Große, weite Welt.

Von seinen Künstlerfreunden ist fast keiner in Bargteheide zur Welt gekommen. So wie er selbst: Dietrich von Horn ist ein Kriegskind, 1944 geboren, aufgewachsen in Eckernförde, zum Lehrer ausgebildet in Kiel. Der Vater starb im Krieg. Erst vor ein paar Jahren hat von Horn einen Packen Briefe gelesen, in Sütterlin verfasst, "vorher wollte ich mit der Nazi-Scheiße nichts zu tun haben".

So spricht ein 68er (der nicht verbohrt ist, dafür ist von Horn viel zu humorvoll), und er tut es versöhnlich. Denn wie immer steuert der feinsinnige Mann auf eine Pointe zu: "Bei der Lektüre habe ich gemerkt - mein Vater ist genauso ein Spinner wie ich. Schrieb Gedichte, hasste Mathe." Das Künstlerische war Dietrich von Horn also, wie man so sagt, in die Wiege gelegt.

Nach dem Trip durch die Stadt zeigt er uns im heimischen Wohnzimmer seine Plastiken, Fotografien und Bilder. Er ist ein talentierter Dilettant ("Das ist für mich kein Schimpfwort") - und hat vielleicht jetzt, als Schriftsteller, seine Kunstform gefunden. Er ist ein geborener Erzähler. Wenn von Horn mal wieder im Ort unterwegs war und Szenen auf geschnappt hat, die wie Miniaturen unserer Gesellschaft sind, dann schreibt er sie an seinem "Compi" auf.

Viele der Episoden in "Aber sonst ist nicht viel passiert" spielen in der Schule, er war 35 Jahre Lehrer an einer Hauptschule. Von Horn, Vater zweier erwachsener Töchter und mittlerweile Opa, beschreibt die Zumutungen und Absurditäten des Alltags (die Liebe! der Job! die Familie!) oft aus der Sicht der Pennäler. Wenn man schon älter ist und alles noch einmal aus der Perspektive der Jungen sieht: Dann erst recht erscheint uns manches skurril. Was Erwachsene so treiben! "Aus der Distanz betrachtet, wirkt vieles absurd. Aber natürlich nehmen wir unsere Geschicke als tragisch wahr, als ernst - das sind sie oft auch", sagt von Horn.

Was nicht heißt, dass man nicht drüber lachen darf. Vorhin, im Auto, beim Ritt durch die Stadt, hat der Reiseführer Dietrich von Horn direkt vor "Philoxenia" gehalten, einem Griechen. In seinem Buch lässt sich einer hier sein nagelneues Auto klauen. Weil er zu viel Ouzo trinkt. Wie soll man über dieses Pech, das direkt aus einem allzu menschlichen Bedürfnis folgt, nicht lachen? Später passieren wir ein anderes Restaurant. Der dritte Grieche im Ort; "ach nee, hat schon wieder zugemacht", sagt von Horn und grinst. Manchmal ist er auch gemein, arme Griechen.

Auch wenn Dietrich von Horn sagt, mit seinem fiktiven Ort Großlüttsee sei nicht ausdrücklich Bargteheide gemeint - man geht sowieso davon aus, dass er sich genau hier anregen ließ. Der Ort wächst stetig, 16 000 Bargteheider sind es jetzt schon. Viele von ihnen haben gebaut. 1970 waren es noch weniger als die Hälfte. Früher haben die Leute hier, sagt von Horn, "die Gülle aufs Feld gefahren". Heute arbeiten sie in Hamburg, "insoweit sind wir Bargteheider kosmopolitisch", sagt von Horn. Grinst. Den Bargteheider gebe es nicht, findet er, aber man könne vielleicht sagen: Er steht im Leben, mit beiden Beinen.

Und er wird vielleicht zur Lesung von Dietrich von Horn kommen, sollte es eine in seinem Heimatort geben. Er hat schon mal ein paar Episoden gelesen vor ein paar Monaten, aus dem damals noch unveröffentlichten Manuskript. Die Leute haben immer an der richtigen Stelle gelacht. "Humor ist überhaupt das wichtigste", sagt von Horn. Ehrgeiz mag er überhaupt nicht.

Gewinner ist er jetzt trotzdem. Wir gratulieren!

Dietrich von Horn: "Aber sonst ist eigentlich nicht viel passiert". 168 S., 13,95 Euro. Erhältlich im Buchhandel oder unter www.norddeutschereihe.de/shop.html