Das Abendblatt sucht den besten Norddeutschland-Roman, doch wie sollte ein Buch beginnen? Der erste Satz muss einen Zauber entfalten.

Hamburg. Erste Sätze sind wichtig, das ist eine Weisheit unter Buchmenschen, deshalb gleich die Frage - woher kommt dieser hier? "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt". Kennt jeder aus dem Deutsch-Grundkurs, klar, das ist aus Franz Kafkas "Die Verwandlung".

Vor ein paar Jahren wurde mal der schönste erste Satz eines Romans gesucht. Standesgemäß gewann Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass mit einem in der Tat wunderschönen Satz (aus dem gar nicht wunderschönen Buch "Der Butt"): "Ilsebill salzte nach." Die Assonanz (i-i, a-a) macht hier die Musik, ist aber keineswegs das Patentrezept für einen optimalen Romananfang. Lust machen muss er halt, Lust aufs Lesen und Lust auf die Parallelwelt zwischen den beiden Buchdeckeln.

Das Hamburger Abendblatt sucht zurzeit den besten bisher unveröffentlichten Norddeutschland-Roman ; die Manuskripte türmen sich in unserer Redaktionsstube. Eines fängt so an: "Man sollte denken, der Himmel sähe über jeder Stadt gleich aus, aber das tut er keineswegs." Eine Reflexion über den Himmel über der Stadt. Und so geht es weiter: "Hier in Hamburg wirkte der Himmel maritim, durchsetzt von der unmittelbaren Nähe der Stadt zu den Weltmeeren." Wer Hamburgromane mag, der ist hier gut aufgehoben.

"Der erste Satz", sagt Wolfgang Schömel, "sollte einen Sound anschlagen, der das gesamte Buch begleitet." Schömel ist ein Fachmann in Sachen erste Sätze: Er ist seit zwei Jahrzehnten Literaturreferent in der Hamburger Kulturbehörde. Als solcher sichtet er wegen der zu verteilenden Förderpreise viele Manuskripte. Schömel ist jetzt auch in der Abendblatt-Jury, die in diesem Herbst den besten norddeutschen Roman kürt. Er hat eine genaue Vorstellung davon, wie der Anfang eines Romans auf keinen Fall sein darf: aufgeblasen und irreführend. "Ein Effekt, der danach sofort verpufft, ist eine literarische Sünde", sagt Schömel.

Harte Worte. Andersherum betrachtet kann ein erster Satz aber auch einen bestimmten Zauber entfalten. Schömels Favorit stammt aus einem Roman Emmanuel Boves ("Meine Freunde"), den Peter Handke übersetzt hat: "Wenn ich aufwache, steht mir der Mund offen." Ein herrlicher Satz, in der Tat. Schömel ist selbst Autor, er weiß vom Hin- und Herüberlegen, wie ein Roman am besten anfängt. Sein letzter, "Die große Verschwendung", beginnt so: "Kein Mond schien, keine Sterne waren am Himmel, und dennoch war die Luft eingefärbt vom dunklen, feuchten und schon etwas resignierten Grün des späten Sommers." Hübsch. Allerdings muss gesagt werden, dass ihm sein Lektor diesen Beginn nahelegte. Ursprünglich legte das Buch nämlich so los: "Nackt stand er am nächsten Morgen vor dem Waschtisch und spannte die Beckenbodenmuskeln an." Die Szene vertreibe alle Frauen, habe der Lektor zu ihm gesagt, erklärt Schömel schmunzelnd. Was nur beweist: Der erste Satz wird sehr wichtig genommen, auf allen Seiten. (abendblatt.de)

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