Die World Press Photos sind gekürt - und lenken unsere Aufmerksamkeit auf Kriege, Siege, Katastrophen und Unrecht in der ganzen Welt.

Hamburg. Der spanische Fotograf Samuel Aranda entdeckt sie in einer Moschee in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, die als provisorische Feldklinik dient. Die Frau - verschleiert bis auf einen kleinen Augenschlitz, sogar die Hände versteckt sie in Handschuhen - hält einen verletzten Verwandten in den Armen. Es ist der 15. Oktober 2011. Draußen demonstrieren Zehntausende, Sicherheitskräfte versuchen sie mit Tränengas und scharfer Munition zu stoppen. An diesem Tag sterben mindestens zwölf Menschen. Seit Januar protestiert die Bevölkerung in Sanaa, ermutigt von den Tunesiern, gegen Präsident Ali Abdullah Saleh, der seit 30 Jahren an seinem Sessel klebt.

Arandas Foto ist eine klassische Pieta, in der christlichen Kunst die Mater Dolorosa mit dem Leichnam Jesu; mit der Arabellion hat sie auch für die islamischen Länder universelle Bedeutung erhalten. Das Foto des jungen spanischen Freelancers Aranda, der für die "New York Times" aus Sanaa berichtete, wurde gestern unter 101 254 Bildern zum World Press Photo des Jahres 2011 gekürt. Das Bild spreche für den Umbruch einer ganzen Region, sagte Jurymitglied Koyo Kouoh. "Aber es zeigt eine sehr private, intime Seite dieser Vorgänge."

5247 Fotografinnen und Fotografen aus 124 Ländern hatten ihre Arbeiten eingereicht. Zu den 20 Jurymitgliedern aus internationalen Magazinen und Agenturen gehörte diesmal auch eine Deutsche: Nicole Becker, Leiterin des Sportfototeams der Deutschen Presse-Agentur.

Wie in jedem Jahr spiegelt der internationale Wettbewerb die großen Ereignisse: In mehreren Kategorien wurde das Thema Arabellion ausgezeichnet. Russische, französische, dänische Fotografen fingen eindrucksvolle Szenen der Massenversammlungen auf dem Kairoer Tahrir-Platz ein und begaben sich während der monatelangen erbitterten Kämpfe zwischen libyschen Rebellen und Gaddafi-Truppen selbst in Lebensgefahr.

Kriegsfotograf James Nachtwey erhält den Dresdner Friedenspreis

Auch die Tsunami-Katastrophe im März in Japan spielt eine Rolle: Gewinner der Kategorie Spot News ist die Serie des Japaner Koichiro Tezuka mit unglaublichen Fotos der Flutwelle und der völlig zertrümmerten Landschaft, die sie hinterließ. Den zweiten Preis dieser Kategorie erhielt der schwedische Fotograf Niclas Hammerström mit seinen Bildern von der norwegischen Insel Utoya, auf der ein Massenmörder im Juli 69 Jugendliche niederstreckte.

Aber der Wettbewerb des World Press Photos hat in den 55 Jahren seines Bestehens auch immer die leisen und latenten Bildgeschichten im Blick gehabt. In der Kategorie Daily Life Stories gewann der argentinische Fotograf Alejandro Kirchuk den ersten Preis mit seiner berührenden Serie "Never Let You Go": Sie beschreibt den Alltag eines 89-Jährigen, der seine an Alzheimer erkrankte Frau pflegt. Die Amerikanerin Stephanie Sinclair fotografierte Kindbräute im Jemen - sechsjährige Mädchen, die mit 20 Jahre älteren Männern verheiratet wurden. Sie reichen denen nicht einmal bis zur Schulter. Mit einem ganz stillen Foto beeindruckt der Reuters-Fotograf Damir Sagolj: In der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang ist am Abend wie immer der Strom abgestellt. In den dunklen, wie ausgestorbenen Mietskasernen leuchtet nur ein heller Fleck: das Bild des jüngst verstorbenen Diktators Kim Jong-il.

Vom 4. Mai an sind die Siegerfotos in Hamburg zu sehen: im Foyer des Pressehauses Gruner Jahr am Baumwall.

Alle World Press Photos 2012 sehen Sie unter worldpressphoto.org