Jodi Biebers Foto der verstümmelten Afghanin ging um die Welt. Ab heute werden die Pressefotos des Jahres 2010 in Hamburg ausgestellt.

Hamburg. Als Jodi Bieber die junge Afghanin Bibi Aisha zum ersten Mal sah, war sie schockiert. Die südafrikanische Fotografin hatte schon in vielen Krisengebieten gearbeitet, hatte den Ausbruch der Ebolafieber-Epidemie in Uganda begleitet und drogenabhängige HIV-Kranke, die auf einer Mülldeponie nahe Valencia leben. Als sie im vergangenen Jahr auf die verstümmelte 18-Jährige traf, der von ihrem Ehemann Ohren und Nase abgeschnitten worden waren, war sie dennoch erschüttert - und dann beeindruckt von der Schönheit und Stärke der jungen Frau.

Drei Stunden lang saßen die 45-jährige Fotografin und die Afghanin in einer Zufluchtsstätte für Frauen in Kabul zusammen. "Ich legte meine Kamera zur Seite und wir plauderten über alles Mögliche", erinnert sich Bieber, "nur nicht über das, was ihr angetan wurde." Am Ende des Gesprächs entstand dieses beeindruckende Foto des Mädchens, das im August 2010 auf dem Titel des "Time"-Magazins veröffentlicht wurde und so weltweit für große Aufmerksamkeit sorgte. "Denken Sie an etwas, das Ihnen Kraft gibt", sagte Bieber - und drückte ab. Anfang dieses Jahres wurde das Bild in Amsterdam zum Pressefoto des Jahres 2010 gewählt. Im Verlagsgebäude von Gruner + Jahr in Hamburg, wo die Magazine "Stern" und "Geo" ab heute zum 17. Mal die "World Press Photo"-Ausstellung mit den prämierten Bildern des Jahres 2010 zeigen, erinnerte sich die Südafrikanerin gestern an dieses Treffen und erzählte die Geschichte hinter dem preisgekrönten Foto.

Die US-Journalistin Aryn Baker, die im Auftrag des "Time"-Magazins in Afghanistan unterwegs war, um Frauen zu porträtieren, brachte die Fotografin und Aisha zusammen. Jodi Bieber kannte das Schicksal des Mädchens: Mit zwölf waren Aisha und ihre jüngere Schwester aus der afghanischen Provinz Oruzgan in die Familie eines Taliban-Kämpfers gegeben worden. Als sie in die Pubertät kam, wurde sie mit ihm verheiratet. Nach einem Fluchtversuch schnitt ihr der Ehemann zur Strafe beide Ohren und die Nase ab - um seine Ehre zu retten. Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und US-amerikanische Soldaten retteten Aisha das Leben.

"Ihre Schönheit und ihr entschlossener eindringlicher Blick haben mich fasziniert", erinnert sich Jodi Bieber. Für sie steht Bibi Aisha symbolisch nicht nur für die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan, sondern auch auf der ganzen Welt. Während Aishas Ehemann in Afghanistan auf der Flucht ist, lebt Bibi Aisha mittlerweile in New York. Dort soll sie operiert werden. Bisher war das aber noch nicht möglich. "Sie ist noch traumatisiert. Operationen sind momentan undenkbar", erklärt Bieber, "aber sie hat eine künstliche Nase, die sie aufsetzt, wenn sie das Haus verlässt."

Für Jodi Bieber ist es der achte World Press Photo Award. Seit 55 Jahren werden die besten und eindrucksvollsten Pressefotos des zurückliegenden Jahres von einer internationalen Jury ausgewählt und prämiert. Insgesamt zeichnete die Jury in diesem Jahr 54 Fotojournalisten aus 23 Ländern mit dem Award aus. Mehr als 5800 Fotografen aus 125 Ländern hatten über 100 000 Fotos für den Wettbewerb eingereicht. "Noch nie waren in der Ausstellung so viele Tote zu sehen", sagt Ruth Eichhorn, Geschäftsführende Redakteurin Fotografie bei "Geo".

Die Ausstellung zeigt nicht nur verstörende Bilder aus Afghanistan, dem erdbebengeplagten Haiti oder von der Loveparade-Katastrophe in Duisburg. Es sind auch beeindruckende Aufnahmen aus den Bereichen Sport, Kunst, Wissenschaft oder Alltag zu sehen. Über allen steht das Foto von Bibi Aisha. Erschütternd, aber auch von berührender Schönheit.

"World Press Photo"-Ausstellung bis 8. Juni Gruner+Jahr-Pressehaus