Die alte Agentengeschichte mit zeitlosem Tiefgang: John le Carrés Roman “Dame, König, As, Spion“ kommt heute mit Gary Oldman ins Kino.

Als die BBC-Verfilmung von "Tinker Tailor Soldier Spy" 1979 zum ersten Mal im britischen Fernsehen lief, war Gary Oldman 21 Jahre alt. Die sieben Folgen nach dem Roman von John le Carré fesselten die ganze Nation. "Jeder hat das gesehen und mit Freunden und Nachbarn darüber geredet", erinnert sich Oldman. In Deutschland war die Miniserie 1980 im ZDF zu sehen. Damals spielte der 65-jährige Sir Alec Guinness die Hauptfigur George Smiley - heute ist es Oldman selbst in der Kinofassung des weltbekannten Agentenromans "Dame, König, As, Spion".

Smiley ist einer, der mit der Tapete verschmelzen kann. Ein unauffälliger, blasser Typ, der sein Allerweltsgesicht hinter einer Hornbrille verschanzt und erst recht seine Gefühle. Schon vorzeitig im Ruhestand und mitten in einer Ehekrise. Aber der perfekte Agent, um verdeckt zu ermitteln: An der Spitze des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 soll es einem Doppelagenten geben. Smiley soll ihn finden.

Die ruhig erzählte, komplexe Geschichte entspricht so gar nicht den Agententhrillern des Adrenalinkinos wie "Der Mann, der niemals lebte". Aber der schwedische Regisseur Tomas Alfredson scheint recht zu behalten: "Man darf das Publikum nicht unterfordern." "Dame, König, As, Spion" ist schon dreimal für den Oscar und viermal für den britischen Filmpreis BAFTA nominiert. In Großbritannien und den USA wollten bisher knapp 50 Millionen Zuschauer den Film sehen, sicher auch wegen der Darsteller: neben Oldman Colin Firth, John Hurt, Mark Strong, Benedict Cumberbatch.

Das Thema ist gespickt mit Tradition - schon die Romanvorlage von 1974 bezog sich auf einen realen Hintergrund. Im britischen Geheimdienst hatte man die "Cambridge Five" enttarnt, fünf Männer, die während des Studiums in Cambridge die Idee des Kommunismus entdeckt hatten. Die schillerndste Figur unter ihnen war Kim Philby, Spross einer bekannten Diplomaten- und Agentenfamilie. Als er 1928 nach Cambridge kam, war es dort schick, einer linken Studentenorganisation anzugehören. Sowohl der sowjetische wie auch der britische Geheimdienst rekrutierten hier ihren Nachwuchs. Philby erlebte in Österreich die ersten Jahre des Nationalsozialismus, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und machte dann eine steile Karriere beim MI6, wo er die antisowjetische Spionageabwehr leitete und ab 1949 Verbindungsoffizier zur CIA in den USA war. Er hatte Zugang zu dem geheimen "Venona"-Material über die US-Atomforschung, beriet die Amerikaner auch bei antikommunistischen Operationen im Ostblock. Deckname: "Parsifal". Einen geeigneteren Bock hätte London nicht zum Gärtner machen können.

+++ "Ich bin selbst so ein desillusionierter Romantiker +++

Philby habe vor allem während des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren danach großen Schaden angerichtet, sagt der Historiker und Geheimdienstexperte Prof. Wolfgang Krieger. "Damals war noch nicht bekannt, wir stark die britische Geheimdienst- und Regierungsebene unterwandert war." Der MI6 habe versucht, das zu vertuschen, weil er "sehr darauf bedacht war, von den Amerikanern als gleichrangiger Partner betrachtet zu werden". Als Philby 1963 enttarnt war, befragte ihn ein Freund aus dem MI6. Philby empfing ihn mit dem Satz, er habe ihn schon erwartet. Er gestand 30 Jahre Verrat - und setzte sich nach Moskau ab.

Eine solche Szene gibt es auch in Buch und Film, und John le Carré hat nie verhehlt, dass er bei "Dame, König, As, Spion" den Fall Philby vor Augen hatte. Als Philby 1963 aufflog, war le Carré selbst für den MI6 in Bonn und Hamburg tätig. "Ich habe die Auswirkungen im Dienst erlebt", erzählte er in einem Interview. "Es war wie ein Schock: ,Philby war doch einer von uns! Selbst Eton-Absolventen sind nicht sicher!'" Philby mokierte sich in seinen Memoiren ("My Silent War"), die er 1968 in Moskau veröffentlichte, über die britische Oberschicht, die "nicht glauben konnte, dass Mitglieder ihrer Klasse zu so einem Verrat fähig waren".

Zitiert: "Die Amerikaner haben keinen großen Respekt vor der nationalen Psyche anderer Völer gezeigt. Weil sie grundsätzlich denken, dass jeder so sein will, wie die Amerikaner. Das halte ich für ein Problem."

Philbys Verrat war fatal, so le Carré: "Er hat gewusst, wann und wo Agenten mit albanischen Gruppen eine Operation durchführen. Dann hat er sich umgedreht und der Gegenseite gesagt: Sie sind am Tag X um Y Uhr am Ort Z. Und viele von ihnen sind gefasst worden und nach entsetzlichen Foltern gestorben." Die menschlichen, psychischen Folgen der Agentenarbeit ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Bücher. Es geht um die Frage: Wie viel ist eine Information wert? Was ist, wenn sie Leben kostet? Oder - heute so aktuell wie damals: Wie weit darf ein Geheimdienst gehen? Wenn wir moralisch "besser" sind als die Gegenseite - dürfen wir dann Härte gegen Menschen anwenden?

Solche Fragen stellte sich James Bond nie, der 1962 die Kinoleinwände betrat. Für John le Carré ist Bond nur "eine Märchenfigur", die Männer- und Allmachtsfantasien spiegelt. In der Wirklichkeit sind die wenigsten Agenten solche Einzelkämpfer und Alleskönner, deren propagandistische Omnipotenz etwa in "Mission: Impossible" oder den Kilo-Class-Romanen von Tom Clancy vorgeführt wird.

+++ CIA-Doppelagent Ames richtete den schwersten Schaden an +++

+++ Dame, König, As, Spion: Informationen für "Karla" +++

Smiley ist der personifizierte Kontrast. Ein Melancholiker, der im Bad von Hampstead Heath einsam seine Runden schwimmt und zu gehemmt ist, mit seiner untreuen Frau Tacheles zu reden. Smiley ist der stille Analytiker, der die gespaltene Welt wieder einrenken soll. Gewaltsame Putschversuche oder Geheimkommandos sind nicht sein Tagewerk. Sondern die akkurate, verlässliche Recherche. "Es ging den Geheimdiensten in erster Linie nicht darum, Risiken zu wagen, sondern Risiken möglichst auszuschließen", sagt Regisseur Tomas Alfredson. "Es ging nicht darum, Leute zu töten, sondern sie einzubinden, zu steuern, zu kaufen."

Doppelagenten führten das verlässliche Freund-Feind-Schema ad absurdum. Ein Doppelagent schadet seinem Land nicht nur, indem er dessen wirtschaftliche oder militärische Pläne oder Agentennetze verrät, er gefährdet es auch durch die gezielte Desinformation, die von der Gegenseite lanciert wird. Philby war Meister darin.

Oberst Oleg Wladimirowitsch Penkowski wurde aus Patriotismus zum Doppelagenten, so merkwürdig das auch klingt. Der hochdekorierte Kriegsheld der UdSSR, Offizier in der Hauptverwaltung für Aufklärung im Generalstab der Sowjetarmee, nahm 1961 selbst Kontakt zum britischen Geheimdienst auf und lieferte unschätzbare Informationen zur Berlin-Krise, über die sowjetischen Aufmarschpläne in der DDR für den Kriegsfall und vor allem über die Schwäche der sowjetischen Militärmaschinerie während der Kuba-Krise - was Kennedy erlaubte, dem Kreml ein Ultimatum zu stellen. Penkowski tat es nicht für Geld, sondern weil er Chruschtschows Politik für gefährlich hielt. 1963 richtete ihn der KGB nach einem Schauprozess hin. Auch Kim Philby habe als überzeugter Kommunist honorarfrei für Moskau gearbeitet, schrieb seine Frau Eleanor später. Der Amerikaner Aldrich Ames hingegen, Chef der CIA-Abteilung Gegenspionage UdSSR, ließ sich 1985 bis 1994 zahlreiche brisante Unterlagen vom KGB und dessen Nachfolger FSB mit rund 2,5 Millionen Dollar vergüten.

Der deutsche Doppelagent Heinz Felfe alias Hans Friesen, ein ehemaliger SS-Obersturmführer, arbeitete nach dem Krieg für die"Organisation Gehlen" und den späteren Bundesnachrichtendienst und ließ sich 1950 vom KGB anwerben. Felfe ließ 15 000 CIA-Operationen und 100 CIA-Agenten auffliegen.

Heute, mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, kommt das jüngeren Kinogängern vermutlich vor wie ein fernes, paranoisches Zeitalter. Im Film ersteht wieder die Lowtech-Welt der 70er mit Tonbandgeräten, Schreibautomaten, Aktenordnern, in der Außenagenten mit der Zentrale über Fernschreiber und Münzfernsprecher kommunizieren. Der abhörsichere Konferenzraum umgibt die Führung des Geheimdienstes wie eine Op-Art-gemusterte Gefängniszelle. Es ist das Retro-Design einer polarisierten Welt. Am Ende hat Smiley unauffällig seine Aufgabe erfüllt. "Nach den Dreharbeiten habe ich ihn richtig vermisst, wie einen Kumpel", sagt Gary Oldman.

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