Kultursenatorin von Welck, Abendblatt-Chefredakteur Strunz, Thalia-Intendant Lux und andere diskutieren über die “Zukunft der Bürgerkultur“ .

Hamburg. "Freunde" steht in großen Lettern über der Runde, die sich am Sonntag auf der Thalia-Bühne versammelt hat, um über die "Zukunft der Bürgerkultur" zu diskutieren. Fast wie eine verordnete Einordnung der Stimmungslage wirkt das, dabei sind vor allem jene vor der Bühne gemeint: die Freunde des Thalia-Theaters, geladen zum jährlichen Diskussionsabend.

Intendant Joachim Lux, Kultursenatorin Karin von Welck, Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse und der Autor Mark Terkessidis kamen, moderiert von Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz, zum Diskurs. Ein Abendblatt-Interview mit Daniel Richter, in dem der Maler der Senatorin unter anderem "Machtgier und Inkompetenz" vorgeworfen hatte, sollte zunächst die Temperatur bestimmen - und eine Rücktrittsdrohung der Senatorin für die nachrichtliche Überraschung sorgen.

Von Welck einen knackigen Kommentar zu den Vorwürfen (die Kulturpolitik nannte Richter "ein Desaster") zu entlocken erwies sich als schwierig - ihre nicht ungeschickte Strategie war es, Verständnis zu zeigen: "Dass Künstler manchmal stark überziehen, das kenne ich, und damit lebe ich."

Auf die Frage allerdings, ob sie, sollte der Kultur-Etat aufgrund der Elbphilharmonie-Ausgaben angetastet werden, als Senatorin noch zur Verfügung stünde, ob sie eine solche Entscheidung also mit ihrem Amt verbinden würde, antwortete sie unmissverständlich: "Das würde ich so sehen." Rund 450 überraschte Zuhörer waren Zeugen: Von Welck hatte ihren Rücktritt angekündigt, sollte ihr Etat wegen der Elbphilharmonie angetastet werden. Eine Aussage, die sie schon am nächsten Tag lieber gar nicht so gemeint hätte, über ihre Sprecherin ließ sie eilig verbreiten: "Bei einem Kulturetat, der nicht mal drei Prozent am Gesamthaushalt beträgt, lässt sich kaum etwas einsparen. Diese Position vertrete ich im Senat und in den Haushaltsberatungen mit allen Kräften, verbinde sie allerdings nicht mit Rücktrittsdrohungen. Wenn dieser Eindruck in der Diskussion am Sonntagabend entstanden sein sollte, habe ich mich missverständlich ausgedrückt." Missverständlich? Eigentlich war es ungewohnt deutlich.

Im weiteren Verlauf aber spielten sowohl Daniel Richter als auch die Elbphilharmonie eine untergeordnete Rolle. Für wen wird Kultur gemacht, wie vermeidet man Barrieren für bildungsferne Bürger oder solche mit Migrationshintergrund? Ausgerechnet Wolfgang Thierse, zuletzt als Sitzblockade-Demonstrant in den Schlagzeilen, wurde zum Verteidiger einer Bürgerkultur im klassischen Sinn und zitierte Cees Nooteboom: "Eine Gesellschaft braucht ein Minimum an gemeinsamer Kenntnis in Geschichte und Kultur." Ausdrücklich verwahrte er sich gegen den Begriff Leitkultur, plädierte aber dafür, auf gemeinsamer kultureller Basis in den Dialog zu kommen. Mark Terkessidis sieht die vorrangige Herausforderung im Austausch mit fremden Kulturen: "Man ändert sich oder man stirbt."

Thierse und er wurden keine Podiumsfreunde, sorgten aber für munteren Schlagabtausch, während die Thalia-Freunde im Saal mit Hausaufgaben nach Hause gingen: Nähme jeder einen Nachbarn, einen Menschen ohne Kulturberührung mit ins Theater, wäre viel gewonnen. Für den Einzelnen, die Gesellschaft - und das Theater.