Die Hamburger Szene castet bis zum 6.April wohltuend unaufgeregt: Der Wettbewerb “Krach & Getöse“ setzt auf den lokalen Nachwuchs.

Hamburg. "Meine Freundin ist 16, hat seit einer Woche Gitarrenunterricht, und ich möchte wissen, ob ich sie bei Bohlen anmelden kann."

"In Fluten" erreichen Heinz Canibol derlei Anfragen. "Ich überlege ernsthaft, ob ich für solche Mails eine Praxisgebühr erheben soll: Zehn Euro - und ich sage, was ich davon halte", erklärt der Musikmanager mit einer sonoren Stimme, die wie ein Gegengift wirkt zum marktschreierischen Casting-Show-Sprech.

Dass Canibol, Jahrgang 1951, um Rat gefragt wird, verwundert nicht. Denn seine Hamburger Plattenfirma 105 Music steht mit Künstlern wie Annett Louisan, Ina Müller und Stefan Gwildis für eine kleine, feine Erfolgsgeschichte. Der Unterschied zu TV-Formaten wie "Deutschland sucht den Superstar": langer Atem statt kurzer Ruhm.

Um den langfristigen Aufbau von Musikern geht es auch dem Wettbewerb "Krach & Getöse", den der Verein RockCity Hamburg dieses Jahr zum zweiten Mal mit der Haspa Musik Stiftung initiiert. Über die Songs, die noch bis zum 6. April eingereicht werden können, entscheiden neben Canibol der Liedermacher Niels Frevert sowie die Sängerinnen Inga Rumpf und Chantal de Freitas, die beide auch eigene Label betreiben. Und Johannes Oerding, heiß gehandelter Pop-Newcomer aus der Hansestadt, der mit seiner Single "Engel" für schneller schlagende Mädchenherzen sorgt.

Dutzende Songs wird sich die Jury anhören, um anschließend fünf Bands oder Solo-Künstler für ein einjähriges Förderprojekt auszuwählen. Hinter verschlossenen Türen. Keine öffentliche Demütigung, keine zynischen Sprüche, kein bohlensches "Das klingt wie ein besoffener Lurch". Doch die Kriterien für gute Musik, die sind auch für die Experten nicht "wissenschaftlich messbar", wie Canibol erläutert.

Was letztlich zählt - und da ist sich der alte Branchen-Hase mit Jungspund Oerding einig - ist Bauchgefühl. "Bei mir entscheidet weniger die handwerkliche Perfektion, sondern die Frage: Will ich den Song ein zweites Mal hören?", sagt Canibol. Und Oerding bestätigt: "Ich muss was dabei fühlen. Ich brauche einen Wiedererkennungswert, der mich fesselt." Der schmale Grat zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Muckertum und "Stardust", wie Canibol es nennt. Doch der Glitzerstaub, der den wahren Star umweht, er muss außerhalb des Probenraums publikumswirksam wahrgenommen werden, soll die hehre Kunst künftig mal Brot und Miete zahlen.

"Man muss halt stattfinden", sagt Oerding. Wenn nicht im Radio, dann im Fernsehen. Aber da mangelt es an Formaten, die mutig Ungehörtes präsentieren. Bei Raabs "Unser Star für Oslo" seien immerhin Anwärter mit eigenem musikalischen Anspruch aufgetreten, meint Canibol. Aber "Deutschland sucht den Superstar" ("DSDS"), das am Sonnabend wieder knapp sechs Millionen einschalteten, das sei keine Musiksendung, sondern eine "emotionale Spiel-Show".

Oerding empfiehlt "den alten Weg": live spielen. "Das dauert lange, aber ist sehr gesund. Das macht einen sicherer in der ganzen Art, Künstler zu sein." Der lange Atem. Seit vier Jahren arbeitet der 28-Jährige intensiv an seiner Laufbahn. Ein Pragmatiker mit Welpencharme. "Im ersten Jahr habe ich Songs geschrieben und ein Team gefunden. Im zweiten bin ich auf Plattenfirmen zugegangen, um Leute zu finden, die in mich investieren. Im dritten war ich Support, hab 100 Konzerte gespielt. Und im vierten kommt die eigene Tour." Schritt für Schritt. Ein Konzept, das auch RockCity verfolgt.

Die Gewinnerbands von "Krach & Getöse" erhalten keinen einmaligen Geldbetrag, sondern ein maßgeschneidertes Coaching-Programm. Sie werden "in die richtigen Kanäle" gebracht und sollen vom "dicken RockCity-Netzwerk profitieren", wie Geschäftsführerin Andrea Rothaug betont. Der nachhaltige Ansatz trug bei den Wettbewerbsbands aus dem vergangenen Jahr bereits Früchte: So reiste etwa das Hamburger Trio Sprout mit der deutschen Delegation der Initiative Musik zum renommierten SXSW-Festival in Austin/Texas.

Auch wenn für Rothaug bei "Krach & Getöse" Originalität vor Markttauglichkeit steht, gilt ein Plattenvertrag für Bands immer noch als Türöffner. Für Canibol ist das jedoch erst der Anfang: "Es gibt kein verdammtes Erfolgsrezept."

Bewerbungen über www.rockcity.de oder www.haspa-musik-stiftung.de