Gesa Ziemer und Angelus Eisinger vom neuen Studiengang “Kultur der Metropole“ der HafenCity-Universität im Abendblatt-Interview.

Hamburg. Der Zweitname ihrer Arbeitsstätte klingt wie ein Versprechen für die Stadt: "Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung". Gesa Ziemer und Angelus Eisinger leiten den 2009 gegründeten, europaweit einzigartigen Bachelor-Studiengang "Kultur der Metropole" an der HafenCity-Universität. Ein Thema, das seit einigen Monaten in Hamburg vehement diskutiert wird.

Abendblatt: Ihr Thema "Kultur der Metropole" hat sich in dieser Stadt in den letzten Monaten vom Lehrstoff in einen Feldversuch verwandelt. Wie beurteilen Sie das?

Gesa Ziemer: Was gerade hier passiert, ist einmalig. Hamburg hat schon sehr früh und stark versucht, sich mit dem Thema Kreativwirtschaft zu positionieren. Jetzt kommen die Gegenreaktionen darauf, dass die Stadtpolitik zu sehr von wirtschaftlichen Interessen motiviert ist.

Abendblatt: Wie beurteilen Sie den Handlungsdruck, der dadurch auch an anderen Orten der Stadt gestiegen ist?

Angelus Eisinger: Was sich mit dem Gängeviertel getan hat, würde ich als erstaunlichen, überaus seltenen Moment eines Innehaltens in der Stadtentwicklung begreifen. Dahinter steht sehr viel mehr. Die Stadt verabschiedet sich gerade von einem Politikmythos - zu glauben, dass eine ökonomistische Politik zu einer lebenswerten Stadt führt.

Abendblatt: Hat die Stadt nicht die Büchse der Pandora geöffnet? Jetzt melden sich überall Protest-Initiativen und kommen sich beschweren.

Eisinger: Ich würde das anders sehen wollen. Man hat der Ökonomie stadtgesellschaftliche Aufgaben überlassen, die sie, wie jetzt deutlich wird, gar nicht übernehmen kann. Was wir nun brauchen, ist ein breiter Dialog über Aufgaben und ihre Bewältigung, nicht die Delegation an private Akteure.

Ziemer: Kreativwirtschaft - schon das Wort an sich ist ja ein Widerspruch par excellence. Der aktuelle Konflikt zeigt doch nur, dass man Kreativität ernster nehmen muss. Das ist nichts, das sich einfach vermarkten lässt. Das sieht man nicht nur in Hamburg: Auch Städte wie Heidelberg, Zürich oder das Ruhrgebiet haben diese Probleme. Kreativität heißt Schöpfung - diese bedingt Wagnisse, Vertrauen und Fehlertoleranz, es ist etwas Unplanbares. Diese Prozesse brauchen Freiräume. Ich frage mich, warum Städte oft so große Angst vor Freiräumen und offenem Streit haben.

Abendblatt: Was müsste Ihren Lehrbüchern zufolge als nächster Schritt passieren?

Eisinger: Man muss von anderen Städten lernen. Zürich war in den 1990ern in einer fundamentalen Orientierungskrise, es gab ein totales Patt. Dann hat man mit Planungsinstrumenten ein neues Vertrauen und ein neues gemeinsames Verständnis von Stadt entwickelt. Weder Investoren noch Berater oder Star-Architekten können solche Fragen im Alleingang beantworten.

Abendblatt: Hat das Eingehen des Senats auf die Forderungen nur eine Feigenblatt-Funktion nach dem Motto: Liebe Bürger, wir in der Politik sind gar nicht so scharf aufs Geld?

Ziemer: Wenn die Politik schlau wäre, würde sie die Kunst stärker einbeziehen. Künstler haben heute eine andere Rolle. Sie gestalten nicht nur Kunst, sie gestalten Gesellschaft. Die Stadt könnte sagen: HafenCity, Altona, Oberhafen, da machen wir nicht nur Logo und Image. Stattdessen akzeptieren wir Leerstände, stellen gar Räume zur Verfügung und schauen, was sich dort entwickelt. Es wäre bedauerlich, wenn sie diese Chance jetzt verpasst.

Eisinger: Das ist allerdings auch eine heikle Gratwanderung, gilt es doch die paternalistischen Modelle zu verhindern, wo Staat oder Stadt sagen, was gut ist. Dadurch, dass man sich Staatskünstler leistet, nimmt man ein enormes Kritikpotenzial aus der Gesellschaft heraus. Man würgt Kritik ab, bevor sie geäußert wird, indem man sie als Kunst umarmt.

Abendblatt: Städtische Toleranz wäre also, überspitzt formuliert, der Tod auf Raten?

Ziemer: Nein, das Problem der Staatskünstler tritt doch nur auf, wenn der Staat diese instrumentalisiert.

Eisinger: Das zeigt für mich, dass diese Debatte nicht nur eine über Kreativität ist, sondern grundsätzlich über Stadtgesellschaft. Die Gentrifizierung hat in New York zur Auswechslung ganzer Stadtquartiere geführt. Das Gängeviertel steht also auch für eine Debatte über den Wohnungsmarkt, über Sozialpolitik, Bildungs- und Lebenschancen. Was ich fürchten würde, wäre die Verkürzung auf eine Frage: Was ist die Rolle von Künstlern in der Stadt? Wenn wir keine weitere Debatte führen, werden wir keine vernünftigen Ergebnisse bekommen.

Abendblatt: Kann man sich angesichts der Wirtschaftslage solche Diskussionen überhaupt leisten?

Ziemer: Gerade jetzt. Die Krise zeigt, dass unsere Wachstumsideologie nicht das einzige Lebensmodell sein kann. Wir nehmen alternative Ideen aber noch nicht ernst genug.

Eisinger: Der sehr positive Gängeviertel-Rückzieher zeigt, dass diese Debatten in den Sitzungszimmern der Politik offenbar geführt worden sind.

Abendblatt: Und das war nicht nur schlichte Notwehr?

Eisinger: Da muss ich zurückfragen: Was wäre denn vor fünf Jahren passiert? Die Strukturen wären dieselben gewesen, aber die Politik hätte sich ganz anders verhalten. Es deutet einiges auf eine ganz andere Sensibilität in diesen Dingen. Das hat nichts damit zu tun, dass einem die Kreativen weglaufen, sondern man beginnt zu ahnen, dass die grundsätzliche Ausrichtung der Politik der letzen Jahre erhebliche Mängel hatte.

Abendblatt: Hat jetzt ein dauerhafter Lernprozess begonnen oder waren die letzten Monate nur eine Episode?

Eisinger: Ich hoffe, das ist der Beginn eines Prozesses. Man hat jetzt - auch mit der IBA - die Gelegenheit, über die Zukunft zu verhandeln. Wenn ich Hamburger und pathetisch veranlagt wäre, würde ich sagen: Ich bin stolz auf die Stadt, das mit dem Gängeviertel gemacht zu haben.

Abendblatt: Gibt es andere Städte, die ähnlich radikal den Kurs geändert haben?

Eisinger: Ich kenne eigentlich nur das Gegenteil.

Vortrag : "Geteilte Räume" mit Regina Bittner und Dieter Läpple. Abschluss der von Ziemer und Eisinger kuratierten Reihe "Kultur der Metropole". 8.4., 20 Uhr, Kampnagel, Eintritt frei