Das alles gibt es auf der Buchmesse: Junges Publikum, neue Talente und genug Lesestoff, um jeden Besucher in die Knie zu zwingen.

Leipzig. Natürlich möchte man nicht meckern angesichts der ersten Frühlingstage, die Leipzig wie in weiche Watte packen. Aber es erfordert einige Selbstüberredungskunst, um sich ins Gewusel der Messehallen zu begeben, fern von frischer Luft. Dorthin, wo einem die Verlage Programme, Waschzettel, Fahnen von Büchern, die "erst im Herbst erscheinen, aber unheimlich spannend sind", und Abendeinladungen in die Tasche werfen, die nach und nach das Gewicht von Obelix' Hinkelstein bekommt.

Dabei hatte alles so schön angefangen. Der Taxifahrer schwärmte noch im schönsten Sächsisch: "Ja, die Messe, die wor schon immr doll. Früher gab's da fir uns immr Bananen." Doll ist es auch heute wieder. Viele, sehr viele junge Menschen besuchen die Buchmesse. Einige mit blauen oder grünen Haaren oder weiß geschminkten Gesichtern. Wer sich im Manga-Stil verkleidet, bekommt freien Eintritt. Dass Lesepublikum auch ganz junge Gesichter haben kann, sieht man hier, wo sich Schulklassen auf Büchertische stürzen. Nebenan, wo 3sat und der Deutschlandfunk senden, stellt Buchpreis-Kandidatin Anne Weber ihren Roman "Luft und Liebe" vor und Sigrid Löffler erfreut sich an "der kleinen Form" des österreichischen Autors Dobler.

Die Buchmesse, die mit "Leipzig liest" über das größte Lesefest Europas verfügt, bietet allen etwas. Vor allem auch Unterhaltung. Neben den schreibunten Buchdeckeln sind es vor allem Titel mit Alltagsthemen. Mia Ming, die bei Schwarzkopf & Schwarzkopf schon "Schlechter Sex 1, 2 und 3" veröffentlichte, bringt nun "Seitensprünge" heraus. 33 Frauen berichten. "Ich hätte mit den Schlechter-Sex-Büchern ewig weitermachen können" sagt die hübsche, blonde Autorin mit dem Pseudonym, "so viele Storys habe ich gehört. Aber ich wollte etwas Anderes machen. Ich habe mich im Bekanntenkreis bedient und auch Geschichten über Facebook oder MySpace angeboten bekommen. So viele, dass ich gar nicht wusste, welche ich auswählen sollte."

Eine Sensation verspricht Natan Dubowitzkis Roman "Nahe Null" zu werden, der vor wenigen Tagen im Berlin Verlag erschien und der ein Sittenbild der Reichen und Mächtigen Russlands zeichnet. Der Untertitel heißt übrigens "Gangsta Fiction". Aber vieles, was man darin über Bestechung, Nepotismus, Egomanie, Niedertracht, Charakterlosigkeit und Rachsucht der russischen Elite liest, scheint wahr zu sein. Denn der Autor weiß nur allzu gut, wovon er schreibt. Sein richtiger Name ist Ladislaw Surkow und er ist wohl die schillerndste Persönlichkeit Moskaus. Surkow ist der Einflüsterer von Präsident Medwedew, schreibt dessen Reden, gilt als der Architekt der Innen- wie der Außenpolitik. Einst arbeitete er für den Oligarchen Chodorkowski, Jelzin holte ihn in den Kreml, er beriet Putin. Am liebsten jedoch möchte er als "Schöngeist" anerkannt werden.

Ob er sich auch so sieht, der neue Buchpreisträger Georg Klein? Auf die Frage, was er unmittelbar nach der Bekanntgabe als Gewinner des Leipziger Buchpreises gefühlt habe, antwortet Klein: "Als die Juryvorsitzende Verena Auffermann den Namen des Gewinners vorlas, dachte ich, jetzt kommt etwas Kurioses. Sie sagte Georg und ich dachte, gleich wird sie sich korrigieren, weil sie sich versprochen hat und Georg Faktor statt Jan Faktor gesagt hat oder weil sie das ebenfalls nominierte Buch "Georgs Sorgen" meint. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass wirklich ich gemeint war."

Gut lief's auch für Autor Moritz Rinke. Vom "blauen Sofa", auf dem er Interviews zu seinem erfolgreichen Roman-Debüt "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" gab, ging's direkt auf den grünen Rasen. Mit der Autoren-Nationalmannschaft, die gegen den MDR Fußball spielte, gewann Rinke 5:2. Zwei Tore hatte er selbst geschossen, ein drittes vorbereitet. Dass nicht alles, was Literaten mit den Niederungen des Alltags verbindet, gefragt ist, beklagte der Leipziger Autor Clemens Meyer, als er sein viel gelobtes Tagebuch "Gewalten", in dem er ein sündenreiches Jahr 2009 schildert, vorstellte: "Ich finde es furchtbar spießig, dass ich immer wieder auf meine Tätowierungen angesprochen werde", sagt er und verbirgt seine armhohen Tätowierungen unter einem langärmligen Hemd.

Am Abend zuvor hatte der Hamburger Hoffmann und Campe Verlag mit Martin Walser und Schauspieler Burghart Klaußner in die Deutsche Nationalbibliothek geladen. Eine bibliophil gestaltete Faksimile-Edition von Heines lange verschollener Schrift "Französische Zustände" gibt der Verlag nun für Liebhaber heraus. Das Manuskript, ein Artikel aus Heines erstem Pariser Jahrzehnt, war eine publizistische Sensation. Es begründet das, was wir heute als modernen Journalismus kennen. Walser schrieb einen Essay dazu.

Eine kleine Sensation kann man hingegen auch im heutigen Deutschland erleben. Walser, der kommende Woche 83 Jahre alt wird, musste mehr als drei Stunden im Zug nach Leipzig stehen. Wie so oft war die Bahn quälend voll. Niemand hatte ihm einen Platz angeboten.