Die Österreicher jubeln über den Oscar-Erfolg von Christoph Waltz. In den 80ern hat der Wiener am Hamburger Thalia gespielt.

Mit dem Oscar für Christoph Waltz haben die Juroren alles richtig gemacht, aber gleichzeitig auch einen Riesenfehler. Denn Waltz hat das kleine Goldkerlchen - Briefbeschwerer, Staubfänger oder Badezimmer-Dekoration Dutzender Leinwand-Stars - in der völlig falschen Kategorie erhalten. Nebendarsteller? Nur weil der globale Frauen- und Männerschwarm Brad Pitt mitspielt? Hätte sich ein Leonardo DiCaprio, der für diese Rolle vorgesehen war, nach "Titanic" und etlichen Hauptrollen bei Martin Scorsese mit der Einsortierung als "Nebendarsteller" zufriedengegeben?

"Nebendarsteller", über dieses immer auch undankbare Etikett in "Inglourious Basterds" darf sich ein hiesige Edelstatist wie Christian Berkel ein Loch in den Bauch freuen, weil er kurz als Kneipier im besetzten Frankreich durchs Bild laufen darf, bis er erschossen wird. Oder Til "Zweiohrküken" Schweiger als Hugo Stieglitz, einer jener "Inglourious Basterds", die, mit Pitt als US-Lieutenant Aldo Raine vorneweg, hinter den Gefechtslinien unterwegs sind, um möglichst vielen Nazis möglichst brutal die Lichter auszublasen und ihrem Boss die verlangten Skalps zu liefern.

Das sind Nebendarsteller.

Christoph Waltz als polyglotter und aalglatter SS-Standartenführers Hans Landa ist in einer ganz anderen Gewichtsklasse unterwegs. Das ist ganz großes Kino. Hochprozentiger Stoff für die Ewigkeit, den es im auf Mainstream ausgerichteten Hollywood-Supermarkt kaum noch gibt. Weil es ganz große Schauspielkunst ist, die der 53-jährige Österreicher in Tarantinos blutrünstiger, brachial komischer Kriegsfilm-Travestie mit unfassbarer Konzentration aufs Wesentliche abliefert. Er ruht dort wie ein Fels in der Brandung der cineastischen Anspielungen, der Insider-Zitate, des durchgedrehten Wahnwitzes einer Geschichte, wie sie nur ein Quentin Tarantino auf die Leinwand werfen kann.

Christoph Waltz wurde unter Wert geehrt.

Nachdem er, als erster Preisträger der stundenlangen Zeremonie, auf die Bühne des Kodak Theatre gerufen wird, einen Moment nach der Schrecksekunde über den eigenen Namen, schafft Waltz eine Pointe und nennt diese Situation, auf eine Textzeile von Landa anspielend: "Über-Bingo". So cool ist man nur, wenn man mit Tarantino gedreht hat.

Es gibt diesen einen Moment kurz nach Beginn von "Inglourious Basterds". Beim ersten Auftritt des SS-Offiziers in einem beschaulichen französischen Bauernhäuschen, als klar wird, dass Landas jovialer Charme, dieses Gesäusel über die leckere Milch und die wohlgeratenen Töchter des Hauses nur Fassade ist vor tödlichem Abgrund. Eine mephistophelische Maske. Man ist angewidert und fasziniert, weil da einer ist, der ganz bei sich ist.

Es gibt diesen anderen Moment, in dem der Gentleman-Killer Landa mit dem Südstaaten-Landei Raine spielt, wie eine Katze mit einer in die Ecke getriebenen Maus. Und das gleich in mehreren Sprachen.

Es gibt viele solcher "Basterds"-Momente, fast alle haben mit Waltz' Präsenz, Präzision und Wandlungsfähigkeit zu tun. Keiner davon mit Nebendarstellung.

Spätestens als "Inglourious Basterds" im letzten Jahr von den Klatschspalten - "Tarantino dreht in Babelsberg!" "Tarantino in Berlin-Mitte gesichtet!" - in die Kinos umzog, wurden alle hellhörig, sobald der Name des Wieners fiel. Dann gab's die Auszeichnung als bester Haupt(!)darsteller in Cannes, und der Rummel steigerte sich ein weiteres Mal. Viele fragten sich, wo denn einer wie er die ganzen Jahre gesteckt hat, als man hierzulande gute, tolle, magische, magnetische Charismatiker für Fernsehen und Kino suchte, die besser waren als, sagen wir mal: der handelsübliche Nebendarsteller. Tja. Waltz war immer da. Nur eben noch nicht dort, wo er hingehört. Ganz vorn, nicht nur mit dabei.

Mit dabei war Waltz bis dahin so ziemlich überall. Mehr als 70 Rollen finden sich in seinem Lebenslauf, viele davon sind längst zu Recht vergessen.

Man muss offenbar warten können als Schauspieler, und leidensfähig sein schadet auch nichts. "Die Karriere geht meistens so dahin und oft hinunter", hat Waltz in eines der unzähligen Mikros hineingeplaudert, die am Sonntag in Los Angeles seinen Weg über den roten Teppich zur Oscar-Zeremonie säumten, "in diesem Fall schießt sie so hinauf, dass ich Schwierigkeiten habe mitzukommen."

Diese Probleme sind nun wirklich neu für ihn. Christoph Waltz, das war jahrzehntelang einer von vielen. Geschätzt, wie von der Kollegin Katharina Abt ("Der Bulle von Tölz"): "Ein kultivierter Kollege, sehr, sehr nett und aufmerksam." Ein Charaktergesicht in einer Branche, die oft die glatt-beliebige Dutzendvisage vorzieht.

Andererseits zeigte er 2001 mit seiner Darstellung des Oetker-Entführers in "Tanz mit dem Teufel", was unter der Oberfläche brodelte. Es gab damals einen Grimme- und einen Bayerischen Fernsehpreis dafür. Für viele wäre das schon Höhepunkt und Endstation gewesen. Waltz hat von London aus, wo er seit Langem lebt, einfach weitergemacht. Gewartet auf den sprichwörtlichen, den berühmt-berüchtigten Anruf aus Hollywood. "Ich hatte 30 Jahre Zeit, mich vorzubereiten", erklärte er später, "alles, was ich 30 Jahre versucht habe, konnte ich zur Anwendung bringen." Die Ironie dieser Geschichte: Hollywood meldete sich zwar, doch gedreht wurde in Deutschland, dort, wo Waltz' Karriere in den 80ern aus den Startblöcken kam.

Einer der Geburtshelfer meldete sich am Salzburger Festspielintendanten-Telefon. Jürgen Flimm flachste zunächst mit einer Portion rheinischen Frohsinns, er sei ja wohl der Chef der Kaderausbildung, bevor er halb ernst nachschiebt, der Christoph, der habe seine Zeit gebraucht.

Wo Flimm recht hat, hat Flimm recht. Wie so viele, die mittlerweile zur Grundausstattung des deutschen Fernsehens zählen, hat auch Christoph Waltz zu den Schauspielern gehört, die Flimm in seiner Zeit als Thalia-Intendant nach Hamburg geholt hat. Erste Kontakte hatte es in Zürich gegeben, dann kam Köln und anschließend Hamburg, unter anderem eine "Jungfrau von Orleans", 1985, vom Hausherrn inszeniert und mit Waltz als Lionel.

Damals hatten sich Intendant und Schauspieler auf zwei Dinge geeinigt. Zur Geburt seines Kindes müsse er weg, egal, was auf dem Spielplan steht. Und wenn der große Film ihn riefe, dann sei er auch weg. Flimm hatte mit beidem kein Problem; das Codewort für solche Notfälle sei für sie "Bieresel" gewesen - wegen der Kölner Traditionskneipe, in der sie damals das Vertragskleingedruckte ausgehandelt hatten. Doch Flimm hat neben dieser Schote auch einen jener Intendanten-Sätze parat, für die man jahrzehntelang Schauspieler kommen und wieder gehen gesehen haben muss: "Der Christoph, der hat immer seinen Kern behalten."

Anders wird die gleiche Besonderheit von Bettina Kupfer ("Schindlers Liste") formuliert, die 1994 mit ihm die Komödie "Mann sucht Frau" gedreht hat. Für sie sei das Besondere, dass er hohe Intelligenz mit Gefühl verbindet. Er hat nicht "vorgemacht, wie man etwas spielt, sondern immer auf die Situation reagiert".

Im "Tagesspiegel" hatte Waltz darüber zu Protokoll gegeben: "Es gibt Schauspieler, die führen Korrespondenzen mit ihrer Figur. Ich tue das nicht. Ich habe etwas gegen die Mystifizierung der Schauspielerei. Der deutsche Begriff Schauspieler ist unglücklich, denn er bezieht sich zu sehr auf Schau, auf das Ergebnis. Im Englischen bin ich ein actor, ein Tuer."

Was immer Waltz nun auch tun wird, es wird unter den Augen der Kino-Weltöffentlichkeit sein. Nachdem sich im Zuge der "Basterds"-Aufregung bei ihm die Drehbücher stapelten, hat er sich für eine Comic-Verfilmung entschieden. Ende 2010 soll "The Green Hornet" in die Kinos kommen, und Waltz spielt einen Bösewicht. In diesem Genre eigentlich eine Nebenrolle. Anschließend steht der Wiener in "The Talking Cure" als Siegmund Freud vor der Kamera. Wenn das keine Steilvorlage für die Academy-Juroren ist, ihm einen Oscar für die Hauptrolle zu geben, dann sind sie reif für eine Therapie.