Drei Regisseure, drei Inszenierungen in Hamburg, Berlin, Lübeck. Drei Haltungen gegenüber dem, was Lessing in seinem Drama wichtig war. Alle suchen die Antwort auf die Grundfrage: Sind Toleranz und Humanität mehr als nur eine schöne Idee?

Hamburg/Lübeck. "Wann bekommen wir eine klassische Aufführung zu sehen?" Die Frage des jungen Mannes beim "Publikumsgipfel" im Thalia-Theater hat manchem Zuschauer aus dem Herzen gesprochen. Zum Finale der Lessingtage erfüllte Intendant Joachim Lux diesen Wunsch - mit dem Gastspiel des Berliner Ensembles am Sonnabend und Sonntag. Claus Peymanns Inszenierung von "Nathan der Weise" entspricht nämlich solchen Erwartungen. Die Berliner erhielten Szenenbeifall und begeisterten Schlussapplaus mit vielen Bravos.

Peymann lässt die Figuren so erkennbar wie drastisch ausspielen, erzählt das Stück auch schön hübsch der Reihe nach. Sogar ein historisches Kostüm gibt es - wenn auch als ironisches Zitat. Der Tempelherr trägt Schwert, Helm und Harnisch des Templer-Ordens.

Im Übrigen hält es Peymann mit Friedrich Dürrenmatt: "Uns kommt nur noch die Komödie bei." Nach der Tragödie des 11. September vermag Peymann Lessings Stück über religiöse Toleranz und humanistische Vernunft nur mehr als Klamotte zu zeigen. Mit Schauspielern, die davor keinerlei Scheu haben und Pointen perfekt von der Rampe abschießen. Allen voran: Carmen-Maja Antonis pfiffige Kuppelmutter Daja oder Martin Seiferts Klosterbruder-Possen.

Als intellektuelle Kontrastebene dazu läuft klar verständlich und sprechschön der Lessing-Text. Nathans Ringparabel kostet Peter Fitz in der Titelrolle als großes Solo aus.

Genau wie am Lübecker Theater Andreas Hutzel in der jüngsten "Nathan"-Inszenierung von Andreas Nathusius. Er gehört zur Regie-Generation der Anfang-Vierziger: genau wie Nicolas Stemann, der am Thalia-Theater mit seiner "Nathan"-Inszenierung für unvermindert brennenden Diskussionsstoff sorgt. Nathusius wählt wie Peymann als Spielort eine rauchende Brandruine. Und zeigt wie Stemann den Nathan in doppelter Gestalt. Im Film spricht der alte Jude mit Rauschebart (Renato Grünig) zu Beginn und am Ende die Ringparabel.

Sie gibt dem Regisseur Anlass zum schwarzen Gleichnis für ihr Scheitern. Hutzels Rede dann vor Saladin (überraschend Reife zeigend: Jörn Kolpe) wird zum Ausbruch der Verzweiflung. Sein Nathan will Freund der Menschen sein, bleibt aber - um die Geschichte wissend - ein zerrissener Zweifler. Und das Zentrum einer Inszenierung, die radikaler sein will, als sie es im konventionellen Spielstil letztlich ist. Ihr schlimmster Fehler: die "avantgardistische" musikalische Begleitung von Szenen und Text auf einem präparierten Flügel. Das Saitengezupfe und atonale Geklimper soll wohl den "Missklang" zur Wirklichkeit bedeuten, stört aber nur die Konzentration auf Melodie und Rhythmus von Lessings Blankversen.

In der Hamburger Thalia-Inszenierung spielt Sebastian Rudolph, Jahrgang 1968 wie Stemann, nicht den Nathan als Figur aus - wie seine Kollegen. Er zeigt - als verlängerter Arm seines Regisseurs - die Begegnung mit dem ihm fremden Text. Seine Aneignung über die Sprache (der erste Akt wird wie ein Hörspiel im anfangs unsichtbaren Tonstudio gesprochen) mündet in Figuren-Gestaltung. Doch Textbücher und Mikrofone bleiben präsent. Das "Spielen" bewahrt sich eine Ehrlichkeit nah an der Schauspieler-Persönlichkeit. Und Momente von liebenswerter Situationskomik - etwa in der Begegnung von Recha (Maja Schöne) mit dem Tempelherrn (Philipp Hochmair).

Die Ringparabel spricht Rudolph an der Rampe wie eine "Lecture demonstration". Er und Stemann verzichten auf das komödiantische Vorkauen des Textes nach Peymanns altmeisterlicher Art - und halten sich trotzdem streng an Lessings Worte.

Die Ausnahme: Elfriede Jelineks Zwischenrufe. Mit ihnen durchkreuzen Christoph Bantzer und Katharina Matz als Nathan und Daja Rudolphs Ringparabel. Im typischen Theaterkostüm des Juden und der Christin formulieren sie die Kritik an Lessings Vernunft-Glauben, den jeder Tag aufs Neue ad absurdum führt. Dagegen wirkt in Peymanns Inszenierung der Heiner-Müller-Epilog "Lessings Schlaf Traum Schrei" wie ein angeklebtes Aktualitätsetikett.

Stemanns Inszenierung mag es dem Publikum gewiss nicht leicht machen. Er nimmt das "Nathan"-Drama aber ernster als seine Regiekollegen - so paradox das für "Werktreue"-Verfechter klingen mag. Denn er versucht, dessen Widersprüche zu unserer Erfahrung nicht mit Theaterkonvention zu kitten. Er legt sie sarkastisch bloß und öffnet - übrigens auch mit Humor und szenischer Bildkraft - dem Text zeitgemäße kritische Sichtweisen.

Nathan der Weise: Thalia-Theater (Stemann-Inszenierung) 16.2., 20 Uhr, Karten: 32 81 44 44. Theater Lübeck, Gr. Haus, 14.2., 18 Uhr, 19.2., 19.30 Uhr, Karten: 0451-39 96 00