Die Schöpfung in Wort und Bild: Im Thalia-Theater zeigt eine Lesung aus Koran und Bibel Ähnlichkeiten und Besonderheiten.

Hamburg. Von "Schwesternreligionen" sprach die islamische Theologin Halima Krausen gleich zu Beginn der "Langen Nacht der Weltreligionen" im Thalia-Theater. Sie verwies damit indirekt auf die Ring-Parabel aus "Nathan der Weise". Lessing betont darin die gemeinsame abrahamitische Wurzel von jüdischem, christlichem und islamischem Glauben. Das Gleichnis war für Thalia-Intendant Joachim Lux Ausgangspunkt für ein mutiges, im deutschen Theater bisher wohl einmaliges Experiment. Schauspieler und Würdenträger der drei Glaubensrichtungen lasen und sangen aus dem Koran, dem Neuen Testament und der hebräischen Bibel.

In leider etwas zu kurzen Einführungen informierten Lux und Mitorganisator Prof. Wolfram Weiße vom "Interdisziplinären Zentrum Weltreligionen im Dialog" über Entstehung, Ähnlichkeiten und Besonderheit der heiligen Schriften. Die Problematik ihres "einzigen Wahrheitsanspruchs" wurde nur kurz gestreift. Krausen ("Ohne Dialog und Humor kann es keine Religion geben") brachte sie jedoch witzig auf den Punkt: "Die Wahrheit ist für jeden zu groß, um sie zu besitzen. Dann müsste sie Taschenformat haben."

Im Zentrum des Abends, der keine interreligiöse Diskussionsrunde sein wollte, standen die Texte. Sie kamen in ihrer Originalsprache und poetischen Kraft zur Wirkung. Der Koranrezitator Seyed Ali Hassani, der islamische Theologe Abu Ahmed Jakobi und seine Tochter Baraah Jakobi sangen Suren aus dem Koran. Studenten der Theologie trugen aus der Bibel Wechselgesänge in lateinischer Sprache vor. Spontanen Beifall erhielt auch Kantor Arieh Gelber von der Jüdischen Gemeinde für seinen ergreifenden Vortrag.

Die beiden christlichen Konfessionen repräsentierten ihre Hamburger Amtsträger: Bischöfin Maria Jepsen rezitierte in hebräischer Sprache aus der "Bergpredigt". Der katholische Erzbischof Werner Thissen sprach Texte auf Griechisch. Die Übersetzungen übernahm das Thalia-Ensemble in der von Alia Luque arrangierten Lesung, die Videos von der Gottesschöpfung Erde begleiteten. Für viele Zuhörer im voll besetzten Saal war es wohl eine Überraschung, im Koran die Geschichte von Adam, von Joseph und seinen Brüdern, von Maria und Jesus als Propheten zu entdecken. Und aus der Bibel vertraute sprachliche Metaphern zu hören. "Je weniger man über die Religionen weiß, desto leichter lässt man sich durch die Politik beeinflussen", gab Weiße zu bedenken. "Man soll die Texte auf sich wirken lassen, aber sie auch kritisch hinterfragen und nicht Meinungen übernehmen." Der Dialog ist in jeder Religion Gebot.

Lessingtage : "Die Sterne", heute, 20 Uhr; morgen, 20 Uhr, gastiert das Deutsche Theater mit "Öl" von Lukas Bärfuss; Am 4. Februar darf dann jeder Zuschauer bei "Nathan der Weise" zahlen, was er will. Im Anschluss gibt es einen "Publikumsgipfel", bislang höchster bezahlter Preis für eine Karte sind 180 Euro. Karten zum Selbstbestimmungspreis gibt es unter T. 24 81 44 44.