Das großartige Gastspiel im Thalia-Theater zeigt modernes Ehedrama und antiken Medea-Mythos, Fremdheit und Machtspiele.

Hamburg. Großartig, was dem Thalia-Theater bei den Lessingtagen gleich mit dem ersten Gastspiel im großen Haus gelungen ist. Karin Beiers Inszenierung von Grillparzers "Das Goldene Vlies" vom Schauspiel Köln ist ergreifendes, bewegendes, mitreißendes, kluges, toll gespieltes, sinnliches Theater, das uns von Eroberung und Begehren ebenso viel erzählt wie von Fremdheit, Macht und der Psychologie der Liebe.

Die Regisseurin und Intendantin erhielt für ihre Inszenierung 2009 den begehrten "Faust"-Theaterpreis. Auf den Hamburger Bühnen hat man lange nicht mehr eine so genau konzipierte, verdichtet intensive, fesselnde und herausragende Aufführung gesehen. Wenn die Lessingtage sich mit solch aufregenden Gastspielen etablieren, brauchen wir den nach Berlin abgewanderten Autorentheatertagen keine Träne nachzuweinen.

Der knapp dreistündige Abend ist in drei Teile geteilt. Erzählt wird die Geschichte von Jason, dem Griechen, der das Goldene Vlies, ein mythisch beladenes Objekt der Begierde, das ebenso als Goldschatz wie Eroberungskarte gilt, aus Kolchis zurückholt. Mit sich bringt er die ihn liebende Medea, die er nach seiner Rückkehr in Griechenland verlässt, da er die griechische Königstochter Kreusa liebt. Im dritten Teil wird Medea zur Rächerin, die das Vlies zurückbringen will und die gemeinsamen Kinder tötet, um Jason zu bestrafen.

Anfangs treten die vier Schauspieler schlicht schwarz-weiß gekleidet und mit übergroßen Masken auf. Sie begegnen einander tänzerisch choreografiert. Dem Raub des Vlieses opfert Medea Bruder, Vater, Heimat und Unschuld. Ungerührt schauen die Masken drein.

In Griechenland wird Medea stets als Fremde wahrgenommen, als Unzivilisierte, Ausgestoßene, als Bedrohung. Jason ist ein schwacher Mann, dieser Abneigung nicht gewachsen. Carlo Ljubek spielt ihn als jähzornigen, animalischen Schönling, der Verantwortung scheut. Ein moderner Mann, der nicht weiß, was er bewirkt, der sich hinreißen lässt von der jungen Blondine Kreusa, die sich ihm zunächst nur spielerisch nähert und bei der er schnell sein bisheriges Leben vergessen kann.

Medea schaut dem fassungslos, verstört und ungläubig zu. Maria Schraders Medea ist eine starke Frau, die lange glaubt, durch Ehrlichkeit, Nachdenken und Zutrauen dem Fremdenhass, dem Verlust der Liebe begegnen zu können. Und die sich dann kalt und wie ausgeschaltet zum Mord entschließt. Ihre Gegenspielerin Kreusa wird von Patrycia Ziolkowska als selbstbewusstes, vom Vater verwöhntes Girlie gespielt, das sich ebenso wenig ihrer Wirkung bewusst ist wie Jason.

Am liebsten spielt sie auf dem Cello. Nachdem Medea es zerstört hat, hätschelt Kreusa es wie ein krankes Kind. Auch Manfred Zapatka, der zunächst Medeas Vater, dann Kreusas Vater spielt, weiß die ganze Bandbreite ambivalenter Gefühle ebenso darzustellen wie den zürnenden Gott oder den Vater, der zum Verräter wird. Die Gier treibt all diese Menschen nach Macht, Sex, Reichtum. Sie macht sie alle besinnungslos. Uns gehen dabei die Augen auf. Und über.