Sie arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Doch nun gerät die Haiti-Berichterstattung von ARD und ZDF in die Kritik. Zu Recht?

Hamburg. Man muss Glück haben, will man Christoph Röckerath dieser Tage telefonisch erreichen. Der ZDF-Reporter mit Dienstsitz Washington D.C. berichtet für seinen Sender aus der von einem Erdbeben zerstörten haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Er telefoniert mit seinem Handy über ein US-amerikanisches Netz. Während des Gesprächs bricht einmal die Leitung zusammen.

Ein anderes Mal sagt er plötzlich: "Ich sehe gerade, wie ein Mann einen Sarg zimmert." An diese Eindrücke hat sich Röckerath noch immer nicht gewöhnt, obwohl er schon seit Donnerstag in Haiti ist, länger als die meisten ausländischen Journalisten.

Der ZDF-Mann kam aus Detroit, wo er von einer Automesse berichtete. Gemeinsam mit seiner Producerin, einem Kameramann und einem Techniker flog er nach Santo Domingo, die Hauptstadt der mit Haiti benachbarten Dominikanischen Republik. Dort deckte sich das Team mit Keksen, Müsliriegeln und Wasser ein, charterte eine Propellermaschine und gelangte mit ihr nach Port-au-Prince.

"Die ersten Nächte schliefen wir im Gras neben dem Rollfeld und auf dem Dach eines Flughafengebäudes", sagt er. Inzwischen zeltet die ZDF-Crew auf dem Gelände der deutschen Botschaft. Das ist etwas komfortabler, sieht man davon ab, dass seit dem Beben die Duschen der Botschaft - im Gegensatz zu denen des Flughafens - kaum noch funktionieren. Nachbarn auf dem Botschaftsgelände sind die Kollegen der ARD, die dort ebenfalls nächtigen.

Da das ZDF zuvor in Haiti keine Mitarbeiter beschäftigte, waren Röckerath und seine Kollegen bei der Rekrutierung einheimischer Helfer auf ihre Menschenkenntnis angewiesen. Noch am Flughafen engagierten sie einen Fahrer und einen Dolmetscher. Auf Leibwächter mussten sie anfangs verzichten. Inzwischen hat das ZDF einen amerikanischen Sicherheitsdienst mit Bodyguards und gepanzertem Wagen angeheuert.

Über solche Annehmlichkeiten verfügten Röckeraths Kollegen von CNN, die unmittelbar vor ihm in Haiti eintrafen, offenbar von Anfang an. Der US-Sender, der mit sechs Starreportern vor Ort ist, treibe "einen Millionen-Aufwand", sagt der ZDF-Redakteur.

Tief beeindruckt von der Berichterstattung der Amerikaner ist die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS): "Ganz ungeniert läuft da Anderson Cooper, der Anchorman des Senders, hinter dem Sarg einer Frau her und schildert, wie hilflos die Angehörigen nach einem freien Grab auf dem Friedhof suchen; da berichtet der Reporter Ivan Watson live von der Bergung eines elfjährigen Mädchens und kommentiert dessen schmerzvolle Schreie, und Sanjay Gupta, der sogenannte Medical Correspondent von CNN, operiert gleich selbst ein 15 Tage altes Baby", schreibt das Blatt.

Das Urteil über die deutschen Sender fällt dagegen vernichtend aus: "Der Seriositätsfetischismus des Nachrichtenjournalismus verwandelt noch die abenteuerlichsten Geschichten in monotone Vorträge", heißt es in der "FAS". Illustriert wird das Stück mit Bildern, die Röckerath und seinen ARD-Kollegen Stefan Schaaf zeigen, wie sie am Flughafen von Port-au-Prince - "aus sicherer Entfernung", wie das Blatt schreibt - in die Kamera sprechen.

Röckerath findet diese Kritik unfair. "Wir nutzen die technische Infrastruktur am Flughafen nur für Live-Schaltgespräche", sagt er. Ansonsten sei er mit seinen Leuten stets vor Ort gewesen. Es gebe aber ein paar Dinge, die er nicht tue: "Ich stelle mich nicht wie die Kollegen von CNN neben die Rettungskräfte und leuchte einem gerade geborgenen Mädchen ins Gesicht."

Er erwähnt auch, dass er über Menschen berichtet habe, die nach dem Beben aus Port-au-Prince geflohen sind. Er habe sich dabei neben die Flüchtlinge gestellt. Sein CNN-Kollege ergatterte sich dagegen einen Platz auf einem der überfüllten Pick-ups und ließ sich während der Fahrt von seinem Kameramann filmen, der im Auto direkt dahinter saß.

Ist so etwas in Ordnung? Es sei "nicht nur lebendiger, sondern auch ehrlicher, wenn sich die Inszenierung der Wirklichkeit in den Dienst der Spannung stellt", findet die "FAS". Das sieht man an Journalistenschulen anders: "Eine Nachricht ist eine Geschichte, und die muss man gut erzählen. informativ und verständlich, realitätstreu und nicht inszeniert, aber auch möglichst spannend und mitreißend, idealerweise exklusiv", sagt der Leiter der Axel Springer Akademie, Jan-Eric Peters. Sein Kollege von der Henri-Nannen-Journalistenschule, Andreas Wolfers, meint: "Inszenierung von Wirklichkeit darf sich nicht in den Dienst der Spannung, sondern nur in den Dienst der Erkenntnis stellen."

Auch Wolfers ist mit der Haiti-Berichterstattung von ARD und ZDF nicht so zufrieden. Doch er empfiehlt nicht CNN, sondern die BBC: "Die haben bisher in Haiti am besten recherchiert."