Die Hamburger Autorin Katrin Seddig liest bei der Altonale aus ihrem großartigen “Eheroman“. Der handelt von Krisen und Freuden des Lebens.

MS Commodore. Ava ist ihr Name. Sie ist die Lieblingstochter des Vaters. Er hat sie nach der Schauspielerin Ava Gardner genannt. Sie sollte etwas Besonderes sein.

"Eheroman", so der nüchterne wie vielsagende Titel des neuen Buches der Hamburger Autorin Katrin Seddig, ist deshalb absolut zutreffend, weil der Roman so schlau und genau all das beschreibt, was die Ehe so mit sich bringt: Verliebtheit, Zärtlichkeit, die bange Frage, ob man sich für den Richtigen entschieden hat, die Erkenntnis, dass es nicht so gut läuft, Ernüchterung, Gleichgültigkeit, die Sorge um die Kinder, die Gewissheit, dass die Kinder das Einzige sind, was die Beziehung noch zusammenhält und die Frage, ob, wann oder wie man sich trennen soll.

Katrin Seddig, die am Sonntag im Rahmen der Altonale auf der "MS Commodore" aus ihrem Roman liest, gewinnt diesem Thema komische und traurige Momente ab, Situationen, in denen man sich wiedererkennen kann und Situationen, die schön und schrecklich sind, bizarr und toll. Hamburger Mittelschicht ist das Paar - sie Krankenschwester, er Philosoph mit wenig Verständnis für Organisation und Familienleben.

Man schaut ihnen beim Leben zu, Danilo, der sich kaum für Ava, aber nur für seine Studien interessiert. Und Ava, wie sie sich mit Freundinnen trifft, wie sie etwas spüren möchte und sich in Affären mit einem Lkw-Fahrer, einem alten Mann und Danilos bestem Freund flüchtet, ihren Schwangerschaften und den langen düsteren Wintermonaten in der Küche, in denen sie Babykost bereitet, auf Danilo wartet und sich unbeachtet fühlt.

Nie ist das Erzählte kitschig oder pathetisch. Ava sucht. Aber nicht das, was sie findet. Ist die Desillusion auch eine Illusion? Wie bekommt man es hin, dass das Leben leuchtet und man sich glücklich fühlt? Wie behält man das Gefühl, etwas Besonderes zu sein? Wie entgeht man Erschöpfung, Sprachlosigkeit und Einsamkeit? Was macht man gegen die Sehnsucht? Seddig geht all dem behutsam und detailliert nach. Man sieht, spürt, fühlt mit Ava, man wird mitgerissen von diesem Plätschern des Lebens, das kein Strom ist. Das Leben ist, wie es ist, drastisch und lakonisch. Seddig beschreibt Szenen einer Ehe, dazu gehören Lebenslust, Erinnerung, Erkenntnis und Enttäuschung.

Ja, es ist der ganz banale Alltag, der das Paar Ava und Danilo so stumpf macht. Keine Katastrophen, keine Abenteuer. Ava ist 16, als Danilo sie beim Osterfeuer auf dem norddeutschen Dorf das erste Mal küsst. Peinlich daran ist lediglich, dass Danilo erst zwölf ist. Er hat einen Wuschelkopf, trägt eine dicke Brille und gibt sich sehr selbstsicher. Hoffentlich erzählt er niemandem von diesem Kuss. Wie alle jungen Leute haben sie Erwartungen ans Leben. Und wie viele gereifte Paare - der Roman endet, als beide die 40 überschritten haben - enden sie in Sprachlosigkeit und Vereinsamung.

Danilos Vorstellung vom Leben heißt Frau, Kinder, Arbeit. Ava jammert nicht. Sie fragt sich nur, ob sie schuld daran ist, dass das Leben weniger schön ist als gedacht. Nie wollte Ava so werden wie ihre Eltern, die Mutter, Mummi genannt, ist zu dick, der Vater ein skurriler Einzelgänger, der Gedichte liebt. Ava arbeitet beim mobilen Pflegedienst, ist trotz schwerer Arbeit meist fröhlich. Alle Krisen dieses Lebens sind eigentlich lächerlich. Doch nicht für denjenigen, dem sie passieren.

Katrin Seddig ist ein großartiges Familienporträt gelungen. Sie hat hingeschaut, nachgespürt und unendlich viel Wahres gefunden.

Katrin Seddig: "Eheroman". Rowohlt Berlin, 447 S., 19,95 Euro; Lesung mit Judka Strittmatter So 3.6., 18.00, "MS Commodore", Övelgönne, Anleger Neumühlen (Bus 112), Eintritt 9,- http://katrinseddig.blogspot.de ; www.altonale.de