Der Abendblatt-Romansieger Dietrich von Horn aus Bargteheide über das Leben im Ländlichen und die Vorzüge frischen Ruhms.

Hamburg. Dietrich von Horn will vor allem über Menschen erzählen: über ihre Marotten, ihre liebenswürdigen Spleens und die manchmal absurden Dinge, die ihnen zustoßen. Das machte er in seinem Debüt "Aber sonst ist eigentlich nicht viel passiert" so gut, dass das Hamburger Abendblatt seine Geschichten aus dem erfundenen Dorf Großlüttsee zum "Besten Norddeutschen Roman" kürte. Und nun? Wird der 67-Jährige sogar schon auf der Straße angesprochen.

Hamburger Abendblatt: Ihr Roman ist skurril. Das betrifft sowohl die Charaktere als auch die Begebenheiten. Haben Sie sich dabei von dem inspirieren lassen, was Sie täglich so in Bargteheide mit-bekommen?

Dietrich von Horn: Ja, zum großen Teil. Die Charaktere sind dann aber oft aus mehreren Beobachtungen zusammengebastelt. Wenn ich etwas über den Künstler Schmidt-Holstein schreibe, der nichts gebacken kriegt, dann ist das auch zum Teil eine Geschichte über mich. Ansonsten unterscheiden sich die Themen in Bargteheide ja nicht wirklich von denen in Hamburg. Dort regt man sich über die Elbphilharmonie auf, hier über den Bargteheider Buckel.

Was ist das denn?

Von Horn: Man hat um den Ort eine Umgehungsstraße gebaut und an der Stelle, wo die neue Straße auf die alte trifft, die Trasse angehoben. Die alte Straße musste nun auch angehoben werden, und ist so ein Buckel entstanden, der Bargteheider Buckel. Jetzt gibt es eine Bürgerinitiative: "Der Buckel muss weg!" Wutbürger in Bargteheide! Na, mal sehen, was passiert. So haben beide Städte ein Problem. Der Unterschied ist der, dass die Dimension des Problems ein bisschen anders gelagert ist.

Kann man so sagen. Ist das eigentlich allgemein menschlich, was Ihren Helden zustößt - oder allgemein dörflich?

Von Horn: Das, was meinen Helden passiert, ist allgemein menschlich, sonst würden die Geschichten ja nicht funktionieren, obwohl sich einige so wohl nur auf dem Lande abspielen können.

Was macht das Leben auf dem Dorf, in der engen Gemeinschaft heute aus?

Von Horn: Bargteheide ist ja nicht wirklich ein Dorf. Es war mal eins. Aus Großstadtsicht ist es vielleicht ein Dorf am Rande der Stadt, wie Eppendorf ein Dorf in der Stadt ist. Und eine Gemeinschaft, die einengt, gibt es hier auch nicht, oder nicht mehr. Leider kenne ich von den 15 000 Menschen im Ort höchstens 50 mit Namen, zehn würde ich mal als meine Freunde bezeichnen, 100 kenne ich vom Sehen. Wenn es mir zu eng wird, kann ich stündlich nach Hamburg fahren. Für mich bedeutet Dorfleben auch mehr Natur, weniger Bebauung, weniger Menschen, weniger Hektik. Als junger Mensch bewegt man sich eher von der Ruhe zur Hektik, mit dem Älterwerden geht es oft in die andere Richtung.

Es gibt auch Ältere, die ihr Haus auf dem Land aufgeben und in die Stadt ziehen.

Von Horn: Den Zuschnitt eines Dorfes in der klassischen Form, wo mein Bauer Möhl seinen Hof direkt an der Hauptstraße hat, gibt es aber trotzdem kaum noch. Am Dorfrand steht ein Supermarkt, ein Gartencenter, ein Baumarkt, eine Squashhalle, ein Warenlager, wieder ein Supermarkt.

Glauben Sie, Sie würden einprägsame Figuren wie Bauer Möhl auch in der Stadt finden?

Von Horn: Einprägsame Figuren wie in Großlüttsee findet man natürlich auch in der Stadt. Wahrscheinlich bringt die Großstadt noch viel skurrilere Typen hervor. Da ich aber dort nicht lebe, kann ich auch nicht authentisch darüber schreiben.

Eine Stadt ist doch eigentlich auch nur eine Ansammlung von Dörfern, oder?

Von Horn: Natürlich! Das kann man doch schon an den Namen ablesen: Eppendorf, Volksdorf. Fast alle Menschen haben das Bedürfnis, sich näher zu kommen, verstanden zu werden, Freundschaften zu bilden, sich zu lieben, sich Geschichten zu erzählen. Wenn ich feststelle, dass mein Nachbar, der immer so gut drauf ist, ganz ähnliche Probleme hat wie ich, ist das beruhigend. Ich hab mal vor Jahren Ray Davies von den Kinks im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee erlebt. Er erzählte aus seinem Leben.

Was denn?

Von Horn: Ray Davies ist aus London. Ich hatte gedacht, dass er von der großen weiten Welt erzählt. Er erzählte von seinen Dorfgeschichten in London, von fünf älteren Schwestern, von den Streitereien mit dem Bruder, vom Vater, wie der im Pub mit einem Glas Bier auf dem Kopf die Leute unterhielt.

Hatten Sie persönlich nie Lust, in die Anonymität einer richtig großen Stadt einzutauchen?

Von Horn: Darauf habe ich immer wieder Lust. Mit dem Zug von Bargteheide nach Hamburg fahren, das dauert gerade mal 25 Minuten, sich von dem Gewusel des Hauptbahnhofs gefangen nehmen lassen, die Mönckebergstraße runterlaufen, zum Jungfernstieg, zum Gänsemarkt oder mit der U-Bahn zum Hafen. Dort an den Landungsbrücken Labskaus essen oder ins Portugiesenviertel gehen: Bolinhos de Bacalhau mit einem Vinho Verde, dazu Fado-Musik. Das ist einfach herrlich. Wo kann man das sonst?

Und würde es Sie persönlich reizen, über Menschen zu schreiben, die jeden Tag mit der U-Bahn fahren müssen und die Parkanlagen für einen Wald halten?

Von Horn: Klar! Darauf müsste man sich aber emotional einlassen. Sich vielleicht 24 Stunden in die U-Bahn setzen, von Endstation zu Endstation fahren und noch mal zurück, den Leuten einfach nur zusehen und zuhören. Da käme an Geschichten ordentlich was zusammen. Und ich bin sicher, sie werden sich kaum von den Geschichten in Bargteheide unterscheiden. Und was die Parkanlagen im Stadtteil angeht, ich bin mal mit Freunden mit dem Rad von Bargteheide durch das Alstertal bis in die Innenstadt von Hamburg gefahren. Man glaubt gar nicht, wie bewaldet und dörflich Hamburg ist - und wie weit man fahren kann, ohne von der Großstadt irgendetwas mitzukriegen.

Sprechen die Leute Sie inzwischen auf der Straße auf Ihr Buch an?

Von Horn: Ja, und dann muss ich eine Widmung ins Buch schreiben: "Für Jan (oder Jeanette). Viel Spaß beim Lesen!" Eine ältere Frau sprach mich an, dass sie mein Buch so nett findet. Und sie erzählte mir dann ihr halbes Leben, dass ihr Mann ja auch Kunst gemacht hat, Engelsflügel aus Holz hat er geschnitzt. Und die sahen so echt aus, da konnte man gar nicht glauben, dass er das aus Holz geschnitzt hat, so schön hat er das gemacht. Gut, er hat nicht so sehr im Haushalt mitgeholfen, eigentlich hat er gar nicht mitgeholfen. Nun ist er ja leider schon tot, und sie hat sich eine kleinere Wohnung gesucht. Und jetzt wollte sie die alte Telefonnummer behalten, aber wenn man da bei der Telekom anruft, dann erzählen sie einem, dass das sofort gemacht wird, kein Problem. Aber bis jetzt ist nichts passiert. Das hätte sich ihr Mann aber nicht gefallen lassen! Ist das nicht wunderbar? So was hätte ich doch nie erfahren, wenn mir das mit dem Buch nicht passiert wäre.

Toll! Ist denn ein neues Buch geplant?

Von Horn: Wer weiß, vielleicht gibt es demnächst wieder ein Buch über Großlüttsee. Ich laufe schon wieder mit Notizblock und Schreiber durch die Gegend. Geschichten gibt es doch genug, man muss sie nur wahrnehmen. Auch das Abendblatt ist immer ein Quell wunderbarer Geschichten. Besonders schön finde ich die Rubrik, wo aus dem Gerichtssaal berichtet wird. Vor Kurzem ging es dort darum, dass ein Fußgänger angeblich bei Rot über die Straße gegangen war. Ein Polizist wollte ein Bußgeld verhängen. Der Fußgänger bestritt energisch, dass er bei Rot gegangen war. Es wurde gestritten und beleidigt, es kam zur Anzeige und Gerichtsverhandlung. Das Verfahren wurde wegen Nichtigkeit eingestellt. Ich finde die Geschichte wunderbar, weil sie die Menschen in ihren Abhängigkeiten von ihren Stimmungen zeigt. Aus der Distanz betrachtet ist das doch saukomisch, finde ich jedenfalls. Also, Großlüttsee ist überall, auch in Hamburg.

Dietrich von Horn liest am 30.5. in der Buchhandlung Heymann in Eppendorf. Anschließend Gespräch mit Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. Beginn der Veranstaltung ist um 20.30 Uhr, der Eintritt beträgt 8 Euro. Der Roman ist erhältlich unter www.norddeutschereihe.de/shop.html oder im Buchhandel.

Dietrich von Horn: "Aber sonst ist eigentlich nicht viel passiert". 168 S., 13,95