Das Abendblatt sucht den “besten norddeutschen Roman“ – Hunderte von Buchmanuskripten erreichten uns. Hier sind die Kandidaten.

Hamburg. Wir fühlen uns beim Hamburger Abendblatt schon auch ein bisschen als Befreier. Wir haben Hunderte von Buchmanuskripten aus ihren Verliesen geholt. Wir haben sie, indem wir einen großen Wettbewerb ausriefen, aus all den überquellenden Schubladen befreit, in denen solche ehrgeizigen Projekte und beredten Gegenstände stolzer Dichter-Träume zu liegen pflegen. "Der beste norddeutsche Roman" soll es sein, den das Abendblatt bald herausbringt. Also der beste Roman, der in Hamburg oder irgendwo in Norddeutschland spielt oder von einem im Norden lebenden Autor geschrieben wurde.

Wenn wir heute an dieser Stelle die zehn Finalisten vorstellen, dann liegen dreieinhalb Monate des Sammelns, Lesens, Sichten und Bewertens hinter uns. Mehr als 350 Manuskripte nahmen an dem Wettbewerb teil, sie sind Zeugnisse großen Wollens und sehr oft auch großen Könnens. Sie gehören in verschiedene Genres, nehmen mal die Gestalt eines Romans mit ernsthaftem Inhalt an, mal die eines in Hamburg spielenden Krimis und mal die eines in einem anderen Universum spielenden Fantasy-Thrillers. Mit Fantasie gesegnet sind übrigens die allermeisten Autoren, sie sprudelte geradezu.

Es ist nicht leicht, in der Buchbranche Fuß zu fassen: Kaum je nimmt einer der Verlage ein unaufgefordert eingesandtes Manuskript an. Die Konkurrenz derer, die von einem Dasein als Schriftsteller träumen, ist groß. Umso größer ist die Chance nun für denjenigen Autor oder diejenige Autorin, der oder die den "besten norddeutschen Roman" geschrieben hat. Das Abendblatt wird das Buch unter seinem Label vermarkten.

Die Jury

Die zehn Finalisten werden nun von einer vierköpfigen Jury unter die Lupe genommen. Die hat es in ihrer Sitzung im Januar - danach wird der Sieger feststehen - mit sieben männlichen Autoren und drei weiblichen zu tun. Sie liest zwei Krimis (von Christiane Gezeck und Siegfried Katzer), ein Kinder- und Jugendbuch (von Markus Tiedemann) sowie sieben Romane (von Angela Pietrzik, Holger Winkelmann-Liebert, Matthias Brendel, Marianne Therstappen, Andreas Zander, Dietrich von Horn und Armin Peter), die der schönen und ernsthaften Literatur zuzurechnen sind.

Leicht wird der Jury die Entscheidung vermutlich nicht fallen. Aber am Ende wird es einen würdigen Sieger geben, der bald sein eigenes Buch stolz in Händen hält.

Holger Winkelmann-Liebert

"Geiger Meier". Ein Mann, Mitte 60, steht kurz vor der Verrentung. Sein Berufsleben spielte sich in der Sphäre der Kunst ab: Er ist Geiger. Als solcher kennt er den Jahrmarkt der Eitelkeiten und ist nicht willens, ihn freiwillig zu verlassen. Er will Orchestermusiker bleiben. Dabei ist er ebenso intrigant wie seine Gegenspieler, mit denen er sich zu einer Art Endspiel trifft. Sein Leben zieht an ihm vorbei, es war ein einsames. Die Frau war irgendwann weg, die einzige Begleiterin war die Violine. Kein Wunder, dass er von ihr nicht lassen kann. Verlassen ist er am Ende, nur die Erinnerung an die Hamburger Bombennächte kehrt immer wieder.

Marianne Therstappen

"Leucht-Spiele". Erzählt wird die Geschichte einer geschiedenen Frau mittleren Alters. Carola ist sich bewusst, dass sie nicht mehr die Jüngste ist. Gerade deshalb nimmt sie ihr plötzliches Verliebtsein beinahe verwundert zur Kenntnis. Bei Laurens, dem Mann ihrer Wahl, verhält es sich ähnlich. Auch er ist eigentlich schon längst fern aller Sentimentalitäten und ganz in den Imperativen seines Alltags gefangen. Manchmal ist er neurotisch, aber wer ist das nicht. Er lässt sich auf die Romanze ein. Man findet und verliert sich wieder, und dann schlägt das Schicksal zu. Eine berührende Geschichte, schnörkellos geschrieben und dem Leben abgeschaut.

Matthias Brendel

"Blaues Glas". Der Autor erzählt die Liebesgeschichte zweier Außenseiter. Martin ist als Adoptivkind in Hamburg aufgewachsen. Er ist er ein Sohn chinesisch-vietnamesischer Flüchtlinge und hat ein bewegtes Leben. Als Teenager hat er eine Affäre mit der Adoptivschwester, muss ins Internat. Später arbeitet er als Sprachlehrer in Hongkong und lernt Bai Mei kennen. Auch sie gehört nicht zur Mitte der Gesellschaft und hat viel erlebt: Die Tante verkaufte sie an einen Briten in Hongkong. Der schwängert und verlässt sie. Sie lernt Martin kennen und lieben, dann wird ihre Tochter entführt. Um sie zu retten, reist Martin nach Hamburg zurück.

Andreas Zander

"Lodigkeits Reise". Ein Roman, in dem sich die Ereignisse überschlagen, mit kleinen Glücksmomenten und großen Dramen. Im Mittelpunkt der Handlung steht der knapp 30-jährige Paul Lodigkeit. Er fliegt zu seinem Vater nach Namibia, um mal wieder durchzupusten. Er hat eine unglückliche Liebesgeschichte hinter sich. Doch Ruhe findet er in Windhuk nicht: Er verliebt sich in die Freundin des Vaters. Ohne zu wissen, dass sie auf unwahrscheinliche Weise mit der Geschichte der Familie zu tun hat. Am Ende droht er zu scheitern, findet aber zurück zu sich selbst - obwohl seine Geschichte und die seines Vaters ihm doch so viele Rätsel aufgab.

Armin Peter

"Der Schwanenvater. Die Geschichte einer Kränkung". Der Roman hebt an mit einer Beerdigung: Betrauert wird Heinrich Langhans. Pitt, der dem Toten die letzte Ehre erweist, begegnet zwei Damen, die ein Blumenbouquet niederlegen. Es sind die Töchter von Langhans. Mit ihnen verband den Vater eine schmerzhafte Geschichte. Sie reicht zurück bis ins Dritte Reich. Der Erzähler schildert auf mehreren Zeitebenen von dieser "Geschichte einer Kränkung". Pitt setzt die Familiengeschichte neu zusammen. In langen Gesprächen am Stölpchensee in Farmsen erfährt er erst vom Verlust eines Mannes, um später die Revision seiner Töchter zu hören.

Angela Pietrzik

"Wenn der Ameise Flügel wachsen". An dem Thema "Wende-Roman" haben sich schon einige versucht. Angela Pietrzik tut es auf eigene Weise: Sie streift die große Geschichte am Rande, um der kleinen, es ist die ihrer eigenen Familie, nachzuspüren. Ihre Hauptfigur Vera reist in ihr Heimatdorf nach Sachsen, um etwas über den Selbstmord ihrer Schwester herauszufinden. In hinterlassenen Tagebüchern erzählt ihre Schwester von der Verbindung zu einem Geheimagenten, in dessen Abhängigkeit sie gerät. Diese Welt ist düster, die neue Welt des sich vereinenden Landes keinesfalls glänzend: Alles verändert sich, die Schwester bleibt tot.

Dietrich von Horn

"Vom Leben, Lieben und Sterben der Menschen von Großlüttsee". Der Autor nennt seine Miniaturen aus der norddeutschen Provinz eine "Romancollage". Man könnte auch von einem Episodenroman sprechen. Er berichtet von mal alten, meist aber jungen Menschen, die in einem fiktiven Ort das machen, was alle tun: halt irgendwie leben. Oder überleben? Was soll man sonst sagen, wenn man einen HSV-Fan zum Bruder hat, der zugleich auch Nazi ist? Jeder hat seine Probleme, und dieser Autor erzählt von ihnen lakonisch und amüsant. Die Perspektive ist meist die der Heranwachsenden - dieser handwerkliche Kniff macht die große Komik aus.

Christiane Gezeck

"Am Ende der Dämmerung". Ein 53-jähriger Mann erschießt an einer Bushaltestelle eine 26-jährige Frau. Schnell stellt sich heraus: Es ist seine Tochter. Was ist das Motiv? Der Mann ist schnell hinter Schloss und Riegel, aber er redet nicht. Die Polizistin Imke Groth gibt sich nicht damit zufrieden, dass nach dem Täter nicht gesucht werden muss. Sie durchleuchtet das Umfeld der anscheinend intakten Familie. Und sie wartet darauf, dass der Vater seine Sprache wiederfindet. Imke entdeckt, dass die Mutter der Toten seit Jahren in der Psychiatrie vor sich hin vegetiert. Ein psychologischer Krimi, der von den Dämonen einer Familie erzählt.

Markus Tiedemann

"Weltenwanderer". Einer der Kinder- und Jugendromane unter den eingesandten Manuskripten. Es geht um die Abenteuer des Mädchens Maya, das seine Sommerferien stets bei seiner Großmutter in Teufelsmoor verbringt. Die Oma ist eine runzelige Alte, die als Heilerin einen guten Ruf genießt. Auch Maya spürt mit einem Male übersinnliche Kräfte in sich. Sie ist als Heilerin gleichzeitig eine Wanderin zwischen den Welten. Zusammen mit ihrer Großmutter ist sie fürderhin unterwegs für die Sache des Guten. Und dem Geheimnis um ihren verstorbenen Vater auf der Spur. Zur Seite steht ihr Freundin Annika. Gemeinsam sind sie stark.

Siegfried Katzer

"Die Erbschaft". Ein lässig aus der Hand geschüttelter Krimi, an dessen Anfang die titelgebende Erbschaft steht: Jessner ist Taxifahrer und nicht wirklich ehrgeizig. Immerhin hat er eine hübsche Schnalle. Besser wird's aber, als Jessner von einem völlig unbekannten Mann Geld und eine Wohnung in Blankenese erbt. Woher kommt das jetzt? Und warum wird Jessner später wegen Mordes von der Polizei gesucht? Die Handlung spielt um die Jahrtausendwende und ist rasant, schlägt manche Kapriolen. Das macht die Unterhaltung kurzweilig. Und man weiß immer, dass die Angelegenheit gut ausgeht. Jessner gefällt als Typ, man mag ihn.