Berlin. Lächelnde Schlagersängerin, It-Girl, Ex-Freundin – Helene Fischer macht aus all ihren Facetten Show. Ein Vorbild ist sie aber nicht.
Auf meinen Kinderfotos lächele ich nie. Ich trage Nicki-Pullover, habe kratzige Locken, bin ein bisschen zu dick (aber wie definiert man das?) und mache mir scheinbar so meine Gedanken über das Leben.
Bis ich neun Jahre alt war, fühlte ich mich weder als Mädchen noch als Junge, ich war einfach nur ich. Prinzessinnen und Schauspielerinnen waren Kunstfiguren für mich, Barbie kein Schlankheitsvorbild, sondern eine arme Susi, mit ihren Plastikbeinchen, nee, damit würde sie nicht weit kommen.
Bei meiner Tochter ist das alles anders. Sie ist nicht pummelig wie ich damals, sie ist hellblond, blauäugig und dünn. Sie ist bald fünf Jahre alt, weiß, was sie morgens anziehen möchte (nämlich Glitzerröcke und Socken über der Strumpfhose) und ist sich ihrer Wirkung bewusst.
Vor den Jungs im Kindergarten steht sie grübelnd da, kichert mit ihrer Freundin oder verdreht die Augen – sie übt Reaktionen, weiß aber noch nicht, welche die richtige ist.
Helene Fischer ist schuld daran
Überschlage ich den Charakter meiner kleinen Tochter und meinen als Kind mal grob, würde ich sagen, dass ich immer ein sehr ernsthafter Mensch war. Meine Tochter fühlt sich dagegen für mich viel extrovertierter an.
Sie lacht und kichert mit ihren Freundinnen, sie liebt es zu tanzen, sie mag das Kita-Theater und singt halblaut für sich im Bus Kinderlieder – und die älteren Damen neben uns lächeln uns dafür an.
Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sich meine Tochter eines Tages (nach ihrem Studium natürlich) als Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin wahrscheinlich wohlfühlen würde – aber andererseits macht diese Vorstellung auch auf eine komische Art krank.
Und schuld daran ist die Kunstfigur Helene Fischer. Es ist Sonntagmorgen. Sie, die Tochter, darf eine Runde mit auf meinen Computerbildschirm schauen, wir klicken uns durch die ARD-Mediathek. Wir schauen eine Fischer-Show – und meine Tochter ist eine Checkerin. Sie checkt das Mikro, die Shellack-Fingernägel, das glitzernde Minikleid.
Helene Fischer stellt sich stumm und dumm
Helene Fischer ist einerseits so blond wie meine Tochter, aber leider auch der Antichrist des Neo-Feminismus. Sie trifft jeden Ton, wird für ihre Akrobatik allseits gelobt, ihre Trennung von Silbereisen wurde chirurgisch sauber vor einem Millionenpublikum im ARD-Schlagerhimmel vollzogen.
Sinngemäß sagte sie Ende Dezember dazu: Ja, das ist ja jetzt schon schmerzhaft, aber jetzt Krönchen richten, weiter geht die Show.
La Fischer ist ein Zugpferd und anders als die früheren populären Schlagersängerinnen wie Françoise Hardy, Liza Minnelli oder auch Vicky Leandros äußert sich Helene Fischer nie politisch, keiner weiß, welche Bücher sie gerne liest, welche Partei sie wählen würde und wie sie findet, dass der „Echo“ abgeschafft wurde, nachdem sie dort so viele Preise abgestaubt hatte.
Also, kurzum, aber mit Verlaub: Helene Fischer, Deutschlands beliebteste Sängerin mit laut „Forbes“ 28 Millionen Euro Einkommen, stellt sich stumm und dumm.
Helene Fischer vollzog Trennung mit Public Viewing
Sie bleibt in ihrer Glitzerwelt, als hätte es #MeToo und den Feminismus nie gegeben. Ja, das ist wohl die Regel des Showbusiness, werden jetzt ein paar Menschen sagen – wohlwissend, dass diese Regel seit dem Hollywood der Sechzigerjahre nicht mehr gilt.
Wenn ich mit meiner Tochter Helene Fischer schaue, dann bin ich traurig und wütend zugleich. Was wollen Sie Ihren Mädchen-Fans eigentlich sagen, Frau Fischer, würde ich sie gerne fragen.
Helene Fischer und Florian Silbereisen: Es ist vorbei
Dass sie tanzen, singen, aber keine öffentliche Meinung haben dürfen? Dass die Trennung von ihrem Boyfriend, das Intimste, ein Public Viewing wert ist, aber alles Weitere nicht der Rede wert?
Meine Barbie, sie war aus Plastik. Immerhin, sie hatte eine gute Entschuldigung.
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Eine Auswahl von Nutzerkommentaren:
- „Woher stammt ihre Empörung darüber, dass eine Schlagersängerin unbedingt eine Vorbildfunktion auszuüben hat? Das ist nämlich IHR Job.“
- „Femininer als Frau Fischer kann Frau nicht sein. Im Gegenteil, sie bricht Lanzen für Frauen und das sollte man ihr Danken.“
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