Schule ist weiblich. 85 Prozent der Grundschul-Lehrkräfte sind Frauen, in den Kitas sogar 91,5 Prozent. Viele Jungs leiden darunter.

Hamburg. Als Ben gestern seinen Ranzen für den heutigen Schulanfang packen musste, hätte sich der Viertklässler fast übergeben vor akutem Widerwillen. "Er würde am liebsten nie wieder zur Schule gehen", sagte seine Mutter, selbst Lehrerin, etwas ratlos über die Unlust ihres Neunjährigen.

Der Start ins neue Schuljahr ist gerade für Jungs besonders schwierig. Nach sechs Wochen Sommerferien ohne Druck, ohne Termine fällt ihnen die Vorstellung schwer, wieder stundenlang im Klassenzimmer still zu sitzen, anstatt im Freien herumzustromern und ihre Tage frei zu gestalten. Und gerade die Grundschüler tauchen ein in eine fast männerfreie Schulwelt - mit all den Schwierigkeiten, die für Jungen damit verbunden sind.

Mädchen verhalten sich ruhiger, Jungs stören durch ihren Bewegungsdrang. Schulischer Erfolg gilt vielen als uncool. Keiner will ein Streber sein.

Grundsätzlich müssen sich Jungen in der Schule ganz und gar entgegen ihren Bedürfnissen verhalten. "Still zu sitzen und sich zu konzentrieren, widerspricht ihrem natürlichen Bewegungsdrang", sagt Ronald Hoffmann, Leiter der schulpsychologischen Beratungsstelle Rebus Wandsbek-Süd. Zusätzlich ecken Jungs oft wegen ihrer hohen Konfliktbereitschaft an - und bekommen dadurch permanent die Rückmeldung, mit ihnen sei "etwas nicht in Ordnung". "Das führt bei vielen zu Verunsicherung und Versagensängsten."

Besonders große Schulschwierigkeiten hätten Jungen aus Familien mit Migrationshintergrund. "Je traditioneller der religiöse Hintergrund einer Familie ist, desto weniger findet dort Erziehung durch Frauen statt", sagt der Experte. "In Vorschule, Kindergarten oder Grundschule stehen diese Jungen dann plötzlich Erzieherinnen und Pädagoginnen gegenüber, die sie respektieren müssen. Das stellt sie vor große Schwierigkeiten."

Generell sei es für alle Jungen wichtig, so früh wie möglich männliche Vorbilder in klassischen Frauenberufen zu erleben. "Heutzutage sind weibliche Fähigkeiten gefragt", sag Hoffmann. "Jungs müssen sehen, dass es Männer gibt, die damit zurechtkommen, die keine Pantoffelhelden sind, aber auch keine Brüller."

Genaue Zahlen über den Anteil der Männer unter den Grundschullehrern hat die Schulbehörde nicht. "Es gibt nur eine Schätzung. Demnach sind es 15 Prozent Männer und 85 Prozent Frauen", so eine Behördensprecherin. Klaus Bullan, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), zitiert ein verbreitetes Bonmot: "An der Grundschule sind in der Regel der Schulleiter und der Hausmeister Männer." Grundschullehrer würden in Hamburg schlechter bezahlt als ihre Kollegen, "das ist ein zentraler Grund, dass es so wenige gibt. Aber auch die fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten spielen eine Rolle."

"Meine Schulleitung sucht mehr Männer, aber es gibt zu wenige Bewerber", sagt Frank Beuster, Lehrer für Deutsch, Religion und Sport an der Gesamtschule Bergstedt.

"Frauen sind klug und gut ausgebildet. Sie sind inzwischen auch in den ehemals männlichen Domänen wie den Naturwissenschaften angekommen."

Der Pädagoge fordert, dass Schule sich stärker mit Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzt. "Man muss sich bewusst machen, dass es eine Rolle spielt, wer da vorn steht und welches Bild man vermittelt." Auch eine Trennung in manchen Stunden hält der Lehrer für sinnvoll: "Wenn man will, dass die Jungen sich öffnen, beispielsweise in Religion, wo es auch um Vertrauen, Ängste, Gefühle geht, hilft es sehr, unter sich zu sein." Er sei mit den Jungs auch viel direkter, sagt der zweifache Jungen-Vater, der selbst auf ein Jungengymnasium gegangen ist. Für ganz wesentlich hält Beuster, der selbst Zivildienst gemacht hat, dass Jungs in und nach der Schule Erfahrungen in sozialen Diensten machen. "Wenn junge Männer gleich auf Karriere getrimmt werden, fehlt ihnen diese soziale Reife."

Erst seit Kurzem habe die Lehreraus- und fortbildung das Problem im Blick. Einige Schulen haben das Thema ebenfalls erkannt und unterrichten teilweise Jungs und Mädchen getrennt. Das Dilemma der fehlenden männlichen Vorbilder setzt sich in der Schule nur fort, beginnen tut es schon früher: in Kitas und Vorschulen. Laut einer neuen Studie des Bundesfamilienministeriums liegt die Zahl männlicher pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten in Hamburg bei nur 8,5 Prozent, bundesweit sogar nur bei 2,4 Prozent.

"Ich hatte den ersten Kontakt zu einem männlichen Pädagogen in der fünften Klasse", sagt etwa Bastian Dziedek, der gerade seine Ausbildung als Erzieher abgeschlossen hat. Demnächst fängt er in der neuen Altonaer Kita Küstenlümmel an, die ihren Schwerpunkt in der motorischen Förderung der Kinder sieht. Dass er ein "pädagogisches Feeling" im Umgang mit Jungen habe, bescheinigten ihm seinerzeit die Mütter der kleinen Fußballer, die er als Jugendlicher trainierte. "Jungen brauchen einen anderen Umgangston", sagt er. "Wir Männer reagieren anders, wenn es zu Streit oder Gerangel kommt. So können wir ihnen männliche Verhaltensweisen im Umgang mit Problemen besser weitergeben." Bei den vielen alleinerziehenden Müttern heutzutage sei das besonders wichtig.