Gewerkschaft fordert sofortige Verhandlungen. “Wenn der Warnschuss nicht gehört wird, streiken alle Lehrer.“

Hamburg. "Zweite Warnung" hatte Jochen Dühring (58) auf sein Protestschild geschrieben. Mit 14 Kollegen war der Lehrer der Gewerbeschule 19 aus Bergedorf gestern dem Streikaufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefolgt. "Bei uns liegt das Durchschnittsalter bei 58 Jahren. Es muss dringend etwas passieren", sagte Dühring. "Wenn wir eine Altersteilzeitlösung hätten, könnten junge Kollegen eingestellt werden."

Deutlich mehr als 2000 Lehrer haben sich nach Polizeiangaben an der Protestaktion gegen zu hohe Arbeitsbelastungen älterer Kollegen beteiligt. Die GEW hatte nach einer Urabstimmung Lehrer ab 50 Jahren zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Bereits am Morgen versammelten sich die Streikenden in einem Hörsaal der Universität. "Unsere Geduld ist zu Ende", sagte GEW-Landeschef Klaus Bullan. "Wenn dieser Warnruf ungehört bleibt, streiken beim nächsten Mal alle Lehrer." Vor allem die älteren Kollegen fordern Stundenreduzierungen und ein Altersteilzeitmodell.

"Christa, wir gehen am Stock!" lautete die Botschaft von Gesamtschullehrer Joachim Kroll (57) aus Kirchdorf-Süd an Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL). "In den letzten Jahren hat sich die Arbeitsverdichtung ständig erhöht. Jetzt reicht es", sagte Andreas Baumgarten von der Ida-Ehre-Gesamtschule in Eimsbüttel. "Wir streiken auch für die Kinder. Sie haben ein Recht auf guten Unterricht. Das braucht Zeit, die wir nicht haben", so Grundschullehrerin Jutta Klass (61) aus Jenfeld. Viele Kollegen litten an Burn-out-Symptomen. "Wir haben ein Recht, gesund in den Ruhestand zu kommen."

Hamburgs Schulen waren von dem Lehrerstreik unterschiedlich stark betroffen. Während am Kurt-Körber-Gymnasium in Billstedt und an der Albert-Schweitzer-Schule in Klein Borstel nicht gestreikt wurde, kam es an anderen Schulen zu massiven Unterrichtsausfällen. Besonders schlimm traf es die Förderschule Pröbenweg in Hamm. "Etwa 75 Prozent unserer Lehrer haben sich am Streik beteiligt", sagt Schulleiterin Ulla Kehl. Drei Viertel der Schüler blieben zu Hause, für den Rest wurde ein Notdienst organisiert - die Eltern waren vorher informiert worden.

Auch an der Ganztagsschule St. Pauli fielen Stunden aus, hier fehlten ein Drittel der Lehrkräfte. Trotzdem äußerte Schulleiter Thomas von Fintel "Verständnis für das Ansinnen auf Altersteilzeit". Ebenfalls betroffen war die Ganztagsschule Alter Teichweg in Dulsberg. Trotz Vertretungsunterricht fielen Stunden aus.

Andere Schulen verfügten über ausreichende Vertretungsreserven und konnten so verhindern, dass Stunden ausfielen. "Die Forderung älterer Kollegen nach Altersentlastung ist berechtigt - schließlich gibt es das in anderen Berufen und Bundesländern auch", sagte der Schulleiter der Klosterschule, Ruben Herzberg. Befürworten dürfe er allerdings nur den Inhalt der Forderung, nicht den Streik. Der sei, sagt Andreas Jäger, Direktor des Gymnasiums Alstertal, eine Folge davon, dass "viele Nachfragen nach Entlastungen bisher ungehört verhallt sind".

In einem langen Demonstrationszug zogen die Lehrer mit Rasseln und Trillerpfeifen Richtung Gänsemarkt. "Die Wut und die Empörung auf die grüne Schulsenatorin sind größer als die Angst vor Verdienstabzug und disziplinarischen Maßnahmen", sagte eine Demonstrantin, die ihren Namen nicht nennen möchte. Viele Passanten reagierten verständnisvoll auf den Lehrerstreik. Andere waren empört. "Ich finde es unmöglich, dass beamtete Lehrer während der Unterrichtszeit streiken. Das sollen die in den Ferien machen", sagte Hans-Florian Karmann (39).

In der Schulbehörde hieß es gestern, man habe Verständnis für die Forderungen. Ein Streik von Beamten sei aber eine Verletzung der Dienstpflicht, zu Unterrichtsausfall dürfe es nicht kommen. "Für eine generelle Arbeitszeitverkürzung fehlt das Geld", betonte Sprecherin Brigitte Köhnlein. Es werde im Rahmen der Änderungen des Arbeitszeitmodells darüber verhandelt. Der GEW reicht das nicht. Sie fordert sofortige Verhandlungen.

Unter den Streikenden war auch die Chefin der Links-Fraktion in der Bürgerschaft, Dora Heyenn (60): "Es kann nicht sein, dass die nötigen Reformen auf dem Rücken der Lehrer ausgetragen werden", sagt die Lehrerin an der kooperativen Schule Tonndorf. Die Linke wird in der Bürgerschaftssitzung Anfang Oktober einen Antrag zur Arbeitszeitentlastung einbringen.