Die Hinterbliebenen wollen ein Urteil wegen fahrlässiger Tötung erreichen. In erster Instanz wurde der Beamte freigesprochen.

Hamburg. Ein lauter Knall, Glas splitterte. Zunächst, sagt Hans-Peter A., habe er die Situation gar nicht überblickt. Aber als Tibor C. nicht mehr im Wagen saß, sondern vor ihm stand, da sei er erleichtert gewesen, sagt der Polizist. Dass es seine eigene Waffe war, aus der sich beim Zugriff auf zwei Verdächtige ein Schuss gelöst hatte, habe er erst registriert, als Tibor C. plötzlich vor ihm zusammensackte. Kurz darauf verblutete der 27-Jährige - ein Projektil aus dem Dienstrevolver von Hans-Peter A. hatte seine Bauchschlagader zerfetzt. Anfang Juli hatte das Amtsgericht den Polizisten vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Doch weil zwei Anwälte im Namen der Kinder (4 und 6) von Tibor C., die inzwischen bei ihrer Mutter in London leben, Berufung eingelegt hatten, muss sich der 52 Jahre alte Polizist seit gestern vor dem Landgericht verantworten.

Die Nebenklage hatte das erstinstanzliche Verfahren in zahlreichen Punkten beanstandet: Bei den Ermittlungen sei geschlampt, Beweise vor Gericht unzureichend gewürdigt worden. Einen Beleg dafür lieferte der Angeklagte gestern selbst: Nach der Tat habe er sich auf der Polizeiwache 16 die Hände gewaschen - Schmauchspuren an den Händen waren damit als Beweismittel unwiederbringlich verloren. Nun will die Nebenklage nachweisen, dass der Polizist seine Waffe vorschriftswidrig einsetzte. "Unser Ziel ist eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung", sagt Opferanwältin Astrid Denecke. Gestern schilderte der Polizist erneut seine Sicht. "Was passiert ist, tut mir leid", sagt er. "Es war ein bedauerlicher Unfall, der mich noch heute belastet." Es vor allem war ein Routineeinsatz, den Hans-Peter A. am 26. Juni 2007 leitete.

Am Morgen observierte er mit anderen Beamten zwei Männer, die in verdächtiger Weise an Bankautomaten hantierten. Drei Polizeiwagen keilten das Auto der mutmaßlichen Kreditkartenbetrüger an der Börsenbrücke vorne und hinten ein, der Wagen von Hans-Peter A. hielt seitlich daneben. "Im Laufen habe ich meine Waffe aus dem Schulterhalfter gezogen", sagt er. Er sei dann zur Fahrertür gelaufen, die sich auf der rechten Seite befand - ein englisches Modell. "Der Fahrer schaute mich an, schnellte plötzlich nach vorn", sagt Hans-Peter A. "Für mich stellte sich das als Fluchtversuch dar." Um die Fahrertür zu öffnen, habe er die Waffe schnell von der rechten in die linke Hand gewechselt - und "drei-, viermal Anlassergeräusche" gehört. Dann habe das Auto einen ruckartigen Satz nach vorn gemacht. Es gab einen Knall, dann habe er den Fahrer noch rufen hören "You shot me" (Du hast auf mich geschossen).

Wie er die Waffe in der linken Hand hielt - daran könne er sich nicht mehr erinnern, sagt der Angeklagte. Er wisse indes, dass er seine Dienstwaffe wie vorgeschrieben am Anfang noch vorwärts abwärts" gehalten habe. In erster Instanz sprach der Gutachter von einer "reflexartigen Muskelkontraktion". Als das Auto nach vorn ruckte, sei der Zeigefinger durch einen Reflex an den Abzug der Waffe geraten. "Der Sachverständige verfügte nicht über die nötige Sachkunde", kritisierte Anwältin Denecke. Gestern beantragte die Nebenklage, den Neurophysiologen Wilhelm Schulte-Mattler (Uni Regensburg) als Sachverständigen zu bestellen. "Sein Gutachten wird ausschließen, dass es zur unbeabsichtigten Muskelkontraktion kam." Über den Antrag entscheidet das Gericht bis zur nächsten Sitzung am 9. Februar.