Rund 30 Schläger verletzen fünf Streifenbeamte zum Teil schwer. Der jüngste Täter ist erst 15 Jahre alt. Hamburgs Politiker sind entsetzt.

Hamburg. Der Festgenommene liegt auf dem Boden. Ein Polizist steht über ihm. Sein Kollege steht einer aufgebrachten Gruppe von etwa zehn jungen Männern gegenüber. Von irgendwoher wird eine Flasche geworfen, die klirrend auf dem Gehweg zerspringt. Die Stimmung ist gereizt. Immer wieder kommen die Angreifer näher, die der zweite Beamte zunächst noch mit seinem Schlagstock in Schach halten kann.

Das sind Szenen auf einem Video, das dem Abendblatt vorliegt. Am Ende sind fünf Polizisten verletzt, einer sogar lebensbedrohlich. 30 junge Männer verprügeln die Beamten während eines Einsatzes. Eine Eskalation der Gewalt, wie sie Hamburgs Polizei gegen ihre Beamten noch nie erfahren hat. Politik und Gewerkschaften reagieren entsetzt.

Was war geschehen? Zunächst waren zwei Beamte zur S-Bahn-Station Neuwiedenthal gerufen worden. Angeblich habe es dort eine Schlägerei gegeben. Als weder Täter noch Opfer zu sehen waren, brechen sie ihren Einsatz ab und fahren zurück. Nur wenige Meter entfernt fällt ihnen ein Mann auf, der in der Nähe von einer Frau und zwei Kindern sein Geschlechtsteil zeigt. Sie halten an, um die Personalien des Exhibitionisten festzustellen.

Die Szene wurde von einem Mitglied der anwesenden Gruppe junger Männer am Sonnabend gegen 21.30 Uhr mit seiner Handykamera aufgenommen. Es dient einigen Bewohnern Neugrabens als Beweis für vermeintliche Polizeigewalt. Die Handykamera macht einen Schwenk. Es sind pöbelnde Männer zu sehen. Plötzlich zwei Schläge. Jetzt zeigt die Kamera, wie der erste Polizist mit seinem Schlagstock vier weitere Male auf den nun am Boden liegenden Exhibitionisten einschlägt. Die Stimmung eskaliert. Immer näher drängen die Männer an die Polizisten und den Festgenommenen, der noch nicht mit Handschellen gefesselt ist.


DAS HANDY-VIDEO VOM POLIZEIEINSATZ IN NEUGRABEN

"Bitte, bitte beruhigt euch mal", sagt einer der Beamten. "Er hat als Erster geschlagen", brüllt einer der Männer zurück. Erneut ist das Klirren von zerschlagenen Flaschen zu hören. Die Beamten bekommen die Lage nicht in den Griff. Sie haben Verstärkung gerufen. "Wo bleiben die denn?", fragt einer. "Weiß nicht. Die sind gleich da", antwortet sein Kollege. In dem Chaos bricht das Video dann ab.

Was danach folgt, ist in dieser Brutalität in Hamburg nie da gewesen. Es versammeln sich immer mehr junge Männer. Kurz darauf sind auch zwei weitere Streifenwagenbesatzungen der Neugrabener Wache am Tatort angekommen. Es ist die komplette Nachtschicht der Wache. Sie wird in wenigen Minuten aufgerieben sein.

Rund 30 junge Männer haben sich versammelt. Sie zerschlagen Gehwegplatten und werfen die Betonbrocken sowie Flaschen auf die Beamten. "Die haben einfach mal durchgezählt und gesehen, dass sie in der Überzahl waren", sagt Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG).

Während die Beamten auf weitere Verstärkung warten, greift der Mob weiter an. Zwei Beamte fallen auf den Boden, werden geschlagen und getreten. Am schlimmsten trifft es einen 46 Jahre alten Polizeikommissar. Einer der Täter tritt ihm mit voller Wucht in das Gesicht. Er erleidet lebensbedrohliche Verletzungen. Sein Jochbein, das Nasenbein sowie sein Kiefer brechen, seine Netzhaut wird verletzt.

Später ermittelt die Polizei den Täter. Es handelt sich um einen 31 Jahre alten Mann. Er ist bereits wegen Schlägereien, Drogenbesitzes und Diebstahls polizeibekannt. Er ist auf der Flucht. Die Mordkommission ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes.

Auch vier weitere Beamte werden verletzt. Ein Hauptmeister, 46, erleidet einen Nasenbeinbuch, ein Obermeister, 35, Hals- und Nackenverletzungen, ein Hauptkommissar, 44, Rückenverletzungen und ein Oberkommissar, 46, Gesichtsverletzungen. Trotz des schweren Angriffs hat kein Beamter seine Dienstpistole gezogen.

Erst sehr viel später erreichen 30 Streifenwagenbesatzungen den Tatort. Sie nehmen 16 Angreifer fest. Es sind allesamt Deutsche mit unterschiedlichen Migrationshintergründen. "Sie sind überwiegend polizeibekannt", sagt Polizeisprecherin Karina Sadowsky. Unter ihnen ist auch ein 21 Jahre alter Intensivtäter. Alle werden nach Vernehmungen wieder auf freien Fuß gesetzt.

"Dieser brutale und hinterhältige Angriff macht mich fassungslos. Derartig ausufernde massive Gewalt gegen Polizeibeamte, die helfen wollten und nichts ahndend auf diese Weise attackiert werden, ist besonders niederträchtig", sagt Polizeipräsident Werner Jantosch. "Diese brutale Tat zeigt einmal mehr, wie wichtig ein härteres Vorgehen gegen diese Täter ist."

Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) fordert nun ein schleuniges Umsetzen der von der Innenministerkonferenz beschlossenen Strafverschärfung für Gewalttaten gegen Polizisten. "Ich fordere die Bundesjustizministerin auf, endlich ein Mindestmaß an Verantwortung gegenüber unseren Einsatzkräften zu zeigen. Auch wenn wir wissen, dass eine Strafverschärfung allein kein Allheilmittel gegen die wachsende Gewaltbereitschaft gegenüber unseren Einsatzkräften ist: Die Täter müssen deutlich zu spüren bekommen, dass sich der Rechtsstaat nicht auf der Nase herumtanzen lässt."

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Auch Uwe Koßel, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), setzt sich für eine Strafverschärfung ein. "Täter, die Polizisten verprügeln, dürften keine Bewährung bekommen." DPolG-Chef Joachim Lenders kritisiert die Sparmaßnahmen des Senats. "Verantwortlich dafür, dass die Beamten dem Mob auf der Straße zahlenmäßig unterlegen sind", seien die CDU-Politiker im Rathaus. "Dass verantwortungsvolle Innenpolitik vom grünen Koalitionspartner nicht zu erwarten ist, war uns schon klar. Dass aber mittlerweile die CDU so grün ist, dass sie sich kaum noch von ihrem Koalitionspartner unterscheidet, ist ein Armutszeugnis."

Ähnliche Kritik kommt auch von der SPD. Innenxeperte Andreas Dressel: "Folgenlose Solidaritätsadressen des Innensenators haben unsere Polizisten nun genug gehört. Die Realität ist leider, dass sich Schwarz-Grün beim Thema Gewalt gegen unsere Polizei seit Monaten gegenseitig blockiert."