Hamburg. Behörde veröffentlicht Leitlinien für KI im Klassenzimmer. Wie Schüler und Lehrer profitieren könnten – und was beim Schummeln droht.

Noch ist es ein Können, über das vor allem IT-Spezialisten verfügen: Der „Prompt Engineer“ (Eingaben-Ingenieur) soll Anweisungen (Prompts) so gekonnt formulieren, dass Software mit künstlicher Intelligenz (KI) möglichst hilfreiche Ergebnisse produziert. Zumindest die Grundlagen der Anwendung von ChatGPT& Co. sollen künftig auch Mädchen und Jungen in Hamburgs Schulen lernen: Das Prompt-Engineering zu beherrschen, sei eine „wichtige Kompetenz“, die es Schülerinnen und Schülern zu vermitteln gelte, heißt es in den neuen Leitlinien für den Einsatz von KI-Systemen im Klassenzimmer, die Hamburgs Schulbehörde am Donnerstag veröffentlicht hat.

„Wir leben in einer Zeit des Wandels und der Innovation, in der künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle spielt“, schreibt Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD), selbst Lehrerin, im Vorwort der 19-seitigen Anleitung – und wendet sich an Hamburgs Lehrkräfte: „Ich möchte Sie dazu ermutigen, KI-Anwendungen im Unterricht zu erproben und zu reflektieren.“ So könnten die Pädagogen die Schülerschaft auch zu einem kritischen Umgang mit KI befähigen.

KI als „Hilfsmittel für Lehrkräfte aller Schularten, Fächer und Klassenstufen“

Welche Relevanz die Schulbehörde dem Thema mittlerweile beimisst, hebt sie deutlicher denn je hervor: „KI-Anwendungen werden Hilfsmittel für Lehrkräfte aller Schularten, Fächer und Klassenstufen in allen Phasen des Unterrichtsprozesses sein“, heißt es auf Abendblatt-Anfrage. Etwaige Befürchtungen vorwegnehmend, stellt Ksenija Bekeris allerdings klar: Programme wie ChatGPT könnten „schulische Bildungsprozesse verändern“, jedoch Lehrkräfte „nicht ersetzen“.

Den Schülerinnen und Schülern könnten KI-Programme in der Schule und zu Hause etwa als „persönlicher Lerntutor“ dienen. Aber: „Schulische Bildung wird immer im sozialen Raum und in Interaktion stattfinden“, betont Hamburgs Schulsenatorin. „KI-Anwendungen sollen nicht zu ‚Vereinzelungsunterricht‘ oder ‚Privatunterricht‘ führen.“

Ein Viertel aller Hamburger Lehrkräfte haben KI-Fortbildungen absolviert

Schon vor einem halben Jahr hatten die Hamburger Schülerkammer, die Elternkammer und ein Vertreter der Leitungen Hamburger Gymnasien detaillierte KI-Leitlinien gefordert. Viele Schüler nutzen längst regelmäßig KI-Programme ohne Anleitung, hieß es; Schulen erprobten mehr oder weniger gekonnt selbst den Umgang mit künstlicher Intelligenz; es herrsche ein „Wildwuchs“.

Und heute? Wie gut sind Hamburgs Schulen nun mit KI vertraut? Nach Darstellung der Schulbehörde werden die Lehrkräfte „umfangreich unterstützt, beraten und fortgebildet“. Die im Februar 2023 gegründete „Kompetenzstelle KI“ des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung habe mittlerweile 93 Weiterbildungen mit 4624 Teilnehmenden durchgeführt – das entspricht etwa einem Viertel aller Hamburger Lehrkräfte. Im vergangenen November nahmen mehr als 100 Hamburger Schulleiterinnen- und -leiter an dem Symposium „KI in Schule und Gesellschaft“ im gemeinnützigen Artificial Intelligence Center Hamburg (Aric) teil.

Unterstützt vom Aric, erstellten Mitarbeitende des Landeinstituts die neuen KI-Leitlinien. Dabei handele es sich um eine „vorläufige Übereinkunft“, da sich die digitale Technik und ihre didaktische Nutzung rasant weiterentwickele, schreiben sie.

ChatGPT kann Referate entwerfen, Essays schreiben und vieles mehr

Ausgelöst worden war der KI-Boom durch die Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022. Die in ihrer Basisversion frei zugängliche Software kommuniziert dank künstlicher Intelligenz mit ihren Nutzern so, als sei sie ein Mensch. Dahinter steht das US-Unternehmen OpenAI.

Dessen Entwickler haben den Chatbot mit gewaltigen Mengen an Text trainiert. ChatGPT beantwortet nicht nur diverse Fragen, ob zu Biologie, Geschichte, Physik oder Religion, sondern das Programm kann beispielsweise auch Texte zusammenfassen oder sie vereinfachen, Fremdsprachen übersetzen, Gliederungen für Referate erstellen, Pro-und-Contra-Argumente auflisten, Rechenaufgaben lösen, Softwarecode erstellen und vieles mehr.

Lehrer entscheiden selbst über Einsatz von KI im Unterricht

Die neuen Hamburger KI-Leitlinien beginnen mit Grundsätzen. Demnach wird es als „gewinnbringend angesehen, wenn Schulen den Einsatz von KI zur Unterstützung des Lernens und Lehrens und zur Entwicklung der Lern- und Arbeitskompetenzen der Lernenden zulassen und fördern“. Es soll aber keine Verpflichtung geben: „Während der Unterrichtszeit hat die Lehrkraft das Recht, zu entscheiden, wie künstliche Intelligenz eingesetzt oder ob ihre Verwendung eingeschränkt wird.“

Ein Verbot der Auseinandersetzung mit KI-Anwendungen im Unterricht sei „angesichts der dynamischen Welt, in der Schülerinnen und Schüler leben, keine angemessene Reaktion“, heißt es in einem der folgenden Kapitel. „Auch würde ein Verbot bestenfalls dazu führen, dass sie KI-Anwendungen im schulischen Kontext nicht nutzen, in anderen Lebensbereichen aber im Umgang mit KI völlig auf sich allein gestellt wären. Im Sinne von Bildung und Demokratieerziehung fehlt ihnen dann die Kompetenz, beispielsweise KI-generierte Fake News zu erkennen.“

Behörde: Kritische Auseinandersetzung mit KI-Texten ist unabdingbar

Durch den gezielten Einsatz von KI-Modellen könnten die Sprach-, Schreib- und Beurteilungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler „erweitert werden, indem beispielsweise die KI-generierten Daten wie Texte, Bilder, Videos und Musik auf verschiedene Aspekte hin untersucht werden, etwa auf ihre Richtigkeit, Konsistenz und Machart“. KI-generierte Texte könnten im Unterricht „vielfältig eingesetzt“ werden und etwa „als Diskussionsgrundlage, zur ersten Orientierung und Strukturierung oder zur Sammlung von Argumenten dienen“.

Dabei sei es wichtig, immer auch über die Entstehung der Inhalte zu sprechen, die unterschiedlichen Ergebnisse der KI zu vergleichen und die Prompts, also den Weg zum Ergebnis, zu thematisieren. Bedeutsam sei außerdem eine „kritische Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten und Wertvorstellungen, die bei der Erstellung des Textes durch die KI entstehen, der sogenannten Bias“.

Und: Für „unerlässlich“ halten es die Autoren, im Unterricht den Umgang mit Fehlinformationen zu thematisieren. „Schülerinnen und Schüler müssen dafür sensibilisiert werden, dass die von der KI generierten Antworten Fehler oder Lücken aufweisen können. Ihnen muss auch bewusst sein, dass sie die von der KI produzierten Inhalte nicht unreflektiert übernehmen dürfen, sondern diese immer wieder überprüfen müssen.“ Die Mädchen und Jungen benötigten auch „ein Bewusstsein dafür, dass ein KI-generierter Text erst den Anfang oder Mittelteil ihrer Arbeitsleistung darstellt“.

Wie Schulaufgaben in Zeiten von KI aussehen könnten

Apropos Arbeitsleistung: Wie lässt es sich verhindern, dass Schüler KI-Tools nicht nur als ergänzendes, die digitale Kompetenz förderndes Lernmittel einsetzen, sondern hauptsächlich auf ChatGPT setzen? Eine Möglichkeit sei, dass die Schüler in Lern- und Leistungsaufgaben persönliche Bezüge integrierten, raten die Autoren. „Die Einbeziehung von Umfragen in der Klasse, eigenen Experimenten, individuellen Datenerhebungen oder persönlichen Interessen kann die Eigenleistung der Lernenden fördern. Die Möglichkeit, ein Thema aus einer individuellen Perspektive zu bearbeiten, trägt ebenfalls zur Motivation bei.“ Für KI-Anwendungen sei es „schwieriger, diese Aufgaben vollständig zu übernehmen“.

Helfen könne auch ein Format- oder Medienwechsel: „Die Anforderung, das Gelernte in andere Formate oder Medien umzusetzen, erfordert eigenständige kreative Arbeit der Lernenden. KI kann Ideen für die Gestaltung von Postern, Erklärvideos, Podcasts, Liedern oder Grafiken liefern. Die Umsetzung und Auseinandersetzung mit den Inhalten muss durch die Lernenden selbst erfolgen“, so die Autoren. „Dies fördert vor allem die argumentativen Kompetenzen, da die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert werden, ihre Entscheidungen und Analyseprozesse zu begründen.“

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Verwendeten Schülerinnen und Schüler KI-Chatbots wie ChatGPT beim Verfassen von Texten oder Hausarbeiten, müssten sie das beschreiben und die Nutzung dokumentieren. „Das Einreichen eines von einer KI erstellten Textes oder anderer von einer KI erstellter Daten unter dem eigenen Namen ist als Täuschungsversuch zu werten.“

Im methodischen Teil einer Arbeit sollte etwa „detailliert aufgeführt werden, welche Fragen an das KI-Modell gestellt wurden, welche Antworten es generiert hat und inwiefern diese Antworten anschließend modifiziert wurden. Darüber hinaus sollte der vollständige Ausgabetext des KI-Modells bzw. der Link dazu im Anhang der Arbeit angegeben werden.“ Die Referenzierung sollte die Liste der Prompts, den Ersteller, das Datum und die Adresse der Webseite (URL) beinhalten.

Sollten Lehrkräfte entscheiden, KI-Systeme in einem Kurs oder zur Bewertung zu verbieten, müsse dies „deutlich kommuniziert werden“, heißt es in den Leitlinien. „Es muss klargestellt werden, dass die Verwendung von KI ohne Erlaubnis als Täuschungsversuch behandelt wird.“

Noch nicht enthalten in der neuen Handreichung sind Praxisbeispiele. Solche konkreten Anwendungsfälle sollen „sukzessive ergänzt“ werden.

Behörde will sicheren KI-Zugang für Hamburgs Schulen

Die Schulbehörde erklärt, sie prüfe verschiedene Möglichkeiten, den Hamburger Schulen einen sicheren Zugang zu einer generativen, also Texte, Bilder und Videos erzeugenden KI-Anwendung. Längerfristig werde eine länderübergreifende Lösung für Schulen angestrebt, die aus Sicht des Datenschutzes besser wäre. Ziel sei es, dabei auf einen privaten Anbieter zu verzichten, „da nur so eine Transparenz über die verwendeten Trainingsdaten wie auch der Verwendung privater Daten gewährleistet werden“ könne.

Auf der Suche nach einer Übergangslösung habe die Behörde zuletzt mit verschiedenen privaten Anbietern von KI-Anwendungen wie Fobizz, SchulKI, Brockhaus und Antares gesprochen, die spezielle Zugänge für Schulen zu generativer KI wie ChatGPT anbieten. Vor allem bei der Auswahl für die allgemeinbildenden Schulen gelte es allerdings, „sehr sorgfältig zu prüfen, wie die Sicherheit der Daten der Schüler und Schülerinnen gewährleistet wird, aber auch, inwieweit eine tatsächliche Entlastung der Hamburger Lehrkräfte ermöglicht wird“.

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