In der ersten Live-Sendung der Castingshow “X Factor“ treten die Hamburgerinnen gegen acht Konkurrenten an. Viele “Stars“ verglühen aber schnell.

Hamburg. Was bewegt eine Gesangslehrerin, eine Callcenter-Teamleiterin, eine Mutter im Erziehungsurlaub und eine PR-Assistentin dazu, bei einer Casting-Show mitzumachen? "Wir sind einfach mal hingegangen", sagt Alexandra Piskol. Sie tritt zusammen mit den Hamburgerinnen Nadine Stricker, Michelle Straubel und Martina Plieger als Quartett Big Soul auf.

In der ersten Live-Sendung der Castingshow "X Factor" (heute um 20.15 Uhr auf Vox) treten die Damen gegen acht Konkurrenten an. Die Anrufer und eine Jury entscheiden, ob das Quartett weiterkommt. "Wir haben schon viele Castingshows gesehen, jetzt wollten wir mal selbst dabei sein", sagt Alexandra Piskol. Die "X Factor"-Jury - Sängerin Sarah Connor, Jazz-Trompeter Till Brönner und Produzent George Glueck - wirkt auf viele Zuschauer kompetenter und sensibler als manche ihrer Kollegen bei anderen Sendern.

Was steckt hinter dem anhaltenden Erfolg der TV-Castings? "In den Shows wird der Eindruck erweckt, dass jeder etwas werden könnte", sagt Claudia Lampert, Medienpädagogin am Hans-Bredow-Institut der Universität Hamburg. "Besonders der Prozess auf der Bühne - die persönliche Entwicklung eines Stars während der Show - ist für die Fans so faszinierend." Schon oft wurden die Castings auch heftig kritisiert: Die Jugendlichen bekämen ein falsches Bild vom Showbusiness vermittelt, bemängeln manche Kritiker. Ganze Bücher sind geschrieben worden, um den Mythos Casting-Show zu entzaubern - all das scheint die Zuschauer nicht daran zu hindern, weiterhin den Fernseher anzuschalten: "Solange jüngere Zuschauer nachwachsen, wird es keinen Grund geben, die Shows nicht mehr anzubieten", sagt Lampert.

"Die Nachfrage ist nach wie vor da, bei Fans vor dem TV ebenso wie bei denen, die da selbst mitmachen wollen", sagt auch Merzad Marashi. Der Hamburger Sänger hat die RTL-Show "Deutschland sucht den Superstar" gewonnen, musste nun aber seine Tournee absagen, weil zu wenig Tickets verkauft wurden. Marashi schiebt es auf sein Management, von dem er sich mittlerweile getrennt hat. Jetzt will er ein neues Album aufnehmen.

Marashi ist nicht der Einzige, bei dem der große Erfolg nach einer Casting-Show ausblieb. Auch der Hamburger Shaham Joyce von Bro'Sis - der Siegerband bei "Popstars" im Jahre 2001 - kennt alle Höhen und Tiefen. Zuletzt arbeitete Joyce als Gesangsdozent an der Stage School in der Neustadt. In der "Popstars"-Staffel zwei Jahre später war Marq Porciuncula mit der Gruppe Overground erfolgreich - anschließend kellnerte er im Restaurant Indochine.

Nicht nur Hamburger Musiker, sondern auch Topmodels aus der Hansestadt waren in den vergangenen Jahren in Casting-Shows ganz vorne dabei: Janina Delia Schmidt wurde Zweite in der dritten "Germany's next Topmodel"-Staffel, und ist das aktuelle Severin-Gesicht für Haircare-Produkte. Und Wanda Badwal, Vierte in der 2008er-Staffel, war im Kinofilm "Same, Same But Different" in einer kleinen Rolle zu sehen. Nach Berlin zog es den Hamburger "DSDS"-Teilnehmer Fady Maalouf. In der fünften Staffel kam er auf den zweiten Platz, in den Charts reicht es mit seinem aktuellen Album "Into the Light" nur für Platz 33.

Auf das ganz große Comeback wartet auch RTL-"Superstar" Alexander Klaws. Als erster Gewinner von "DSDS" 2003 verkaufte sich seine Debüt-Single "Take Me Tonight" mehr als eine Million Mal. Engagements im Musical "Tanz der Vampire" und in der Sat.1-Serie "Anna und die Liebe" folgten. Als "Tarzan" schwingt er sich zurzeit in der Neuen Flora von Liane zu Liane.

Auch für den schwindenden Erfolg hat Medienpädagogin Claudia Lampert eine Erklärung: "Die Zuschauer bauen bis zum Finale durch ständige Medienpräsenz eine richtige Beziehung auf. Wenn der Gewinner aus dem Sonnabendabendprogramm verschwindet, reißt diese Verbindung ab." Das wissen auch die vier Mädels von Big Soul.

Beobachter bescheinigen ihnen große Chancen, das Finale zu erreichen, aber Alexandra Piskol, die im Callcenter arbeitet, sieht ihre Situation realistisch: "Zurzeit genießen wir einfach die mediale Unterstützung um uns herum, aber uns ist vollkommen klar, dass die Arbeit erst nach dem Finale anfängt."

Einer, der fernab von Casting-Shows auf eine andere Art der Nachwuchsförderung setzt, ist Michy Reincke. Der Hamburger Musiker ("Taxi nach Paris") veranstaltet regelmäßig die "Lausch Lounge" mit jeweils vier sorgfältig ausgesuchten Nachwuchskünstlern. "Wir wollen Leute, die auch inhaltlich etwas zu sagen haben. Populäre Musik kann auch geistigen und seelischen Nutzen haben", sagt Reincke. "So was ist in den TV-Shows egal. Kein Respekt, nur Oberflächlichkeit - für mich ist das wie Pornografie."