Autorin Birgit Stratmann, Gründerin des Magazins „Ethik heute“, orientiert sich an den Lehren des tibetischen Mönchs. Und sie bereitet auch dessen Besuch in Hamburg 2014 mit vor.

Sie hat sich grünen Tee bestellt. „Einen normalen?“, fragt die Bedienung im Foyer des Radisson Blue. Als sie die Verwunderung im Gesicht ihres Gegenübers bemerkt, setzt sie nach: „Wir haben normalen grünen Tee und einen ganz tollen mit Aroma, der ...“ – „Nein, bitte einen ganz normalen grünen Tee“, sagt Birgit Stratmann, 49. Das passt zu ihr. Stratmann will das Leben echt und unverfälscht – auch wenn das nicht immer der leichteste Weg ist. „Ich suche immer nach dem Echten“, sagt sie. „Es treibt mich an, hinter die Dinge zu schauen.“ Derzeit schaut die Autorin auf das Thema Ethik. Erst im Frühjahr hat sie das Magazin „Ethik heute“ ins Leben gerufen, ein Herzensprojekt. Ihr ist es wichtig, das Richtige, das Gute, das Sinnvolle zu tun.

Birgit Stratmann wuchs im Münsterland auf. Katholisches Elternhaus, ein Bruder, Ballett, Volleyball, Klavierunterricht, Abitur. Eines ihrer Lieblingsfächer war Latein. „Weil alles so logisch aufgebaut ist“, sagt sie. Aufregend klingt anders. Nach dem Schulabschluss verließ die junge Frau ihr behütetes Umfeld und ging ins Ausland. „Ich wollte meine Erfahrungen im Leben machen.“ Doch Stratmann kaufte sich kein Interrail-Ticket, um durch Europa zu tingeln, und vergnügte sich auch nicht bei Backpacker-Partys an Thailands Stränden. Wo war da das Sinnvolle? Das Gute? Das Richtige? Stratmann ging lieber sechs Monate nach Israel, wo sie in einem Kibbuz lebte und auf der dazugehörigen Bananenplantage mitarbeitete. „Ich wollte die Welt unverfälscht und direkt erleben“, sagt sie. Anschließend ging sie für ein halbes Jahr nach Irland, um ehrenamtlich in einem Versöhnungszentrum für Katholiken und Protestanten mitzuhelfen. Dann Geschichts- und Politikstudium in Freiburg. „Aber ich fühlte mich dort nicht wohl, irgendwie nicht angekommen.“ Sie bezeichnet den Umzug als Fehlentscheidung – vielleicht auch, weil es eine Kopfentscheidung war. Eine Herzensentscheidung war hingegen ein Jahr später Hamburg. Sofort fühlte sie sich in der Hansestadt wohl. „Hier konnte ich frei atmen“, sagt sie.

Nach ihrem Studium fand Stratmann einen Weg, um ihre Leidenschaft fürs Schreiben und ihr Streben nach etwas Sinnvollem zu verbinden: ein Job als Redaktionsassistentin in der Publikationsabteilung von Greenpeace, für die sie Jahre später auch als Texterin und Redakteurin arbeitete. „Ich wollte etwas Sinnvolles machen“, sagt sie wieder. Auch abseits des Berufs engagierte sich Stratmann immer wieder für das Gute, war etwa Mitglied in Amnesty-International-Gruppen. Dabei musste sie immer aufpassen, dass es nicht zu viel für sie wurde. „Zu viel Katastrophe würde mir nicht guttun“, sagt sie. „Ich muss das meinen Kräften anpassen.“

Anfang der 90er-Jahre entdeckte Stratmann den Buddhismus für sich. Ist sie Buddhistin? Sie hält kurz inne, sagt: „Ich will mir keine Stempel aufdrücken lassen.“ Deshalb wollen sie und ihr Partner, mit dem sie seit fast 20 Jahren fest liiert ist, auch nicht heiraten. Obwohl sich Stratmann nicht als Buddhistin bezeichnet, machte sie berufsbegleitend ein siebenjähriges Studium des Buddhismus im Tibetischen Zentrum Hamburg und wurde bald Chefredakteurin des Hefts „Tibet und Buddhismus“. Bis heute reist sie regelmäßig mehrere Wochen zum Meditieren nach Asien, in Tibet war sie aber noch nie. „Buddhismus findet eher im Herzen als an einem Ort statt“, sagt sie.

Dafür hat sie den Dalai Lama getroffen, schließlich war sie 1998 und 2007 im Organisationsteam für dessen Besuch in Hamburg. „In seiner Gegenwart spürt man seine eigenen Qualitäten viel deutlicher“, sagt Stratmann noch immer beeindruckt. Der Kopf kann es nicht erklären, aber das Herz kann es spüren. „Er strahlt so eine unheimliche Nähe zu jedem aus.“ Außerdem sei sie von dessen „weiter Perspektive“ beeindruckt. „Er sieht die Welt mit all ihren Vor- und Nachteilen nicht nur aus seinem eigenen Blickwinkel, sondern auch aus anderen Perspektiven.“ Eine Fähigkeit, die sie auch sich selbst antrainiert hat. In Konflikten versucht sie seither, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Auch am Dalai-Lama-Besuch im kommenden Jahr arbeitet sie mit. „Er wird Hamburg guttun“, sagt sie. „Er bringt mehr Wärme und Menschlichkeit in die Welt.“

Für mindestens eine Stunde am Tag steht Meditieren auf dem Plan

Menschlichkeit ist Stratmann wichtig. Und immer bedeutet Menschlichkeit ja auch, dass man Fehler hat und macht. „Ich habe Schwächen, die ich mir aber auch eingestehe“, sagt sie. „Diese Menschlichkeit will ich mir nicht nehmen lassen.“ Eine ihrer größten Schwächen sei zum Beispiel ihr übertriebener Perfektionismus, der manchmal zu einer gewissen Strenge sich selbst und anderen gegenüber führe. So hat sie zum Beispiel früher ihre Texte immer und immer wieder überarbeitet, weil sie sie als noch nicht gut genug empfand – damit war sie aber auch die Einzige. „Aber über die Jahre habe ich gelernt, mehr zu entspannen und sanfter zu sein.“

Wenn eine Vegetarierin doch mal Hühnerfrikassee isst ...

So stand sie sich auch beim Meditieren zunächst selbst etwas im Wege. Sie wollte schnelle Fortschritte machen und wurde verbissen, dabei ist das genau die falsche Grundhaltung. Mittlerweile ist Stratmann routinierter. Mindestens eine Stunde meditiert sie jeden Tag. „Dadurch baut sich eine gewisse Kraft auf, die ich für mein Leben brauche“, sagt sie. „Auch hilft Meditation, sich mit den eigenen Emotionen zu konfrontieren, und man merkt, wo man festhängt.“ Die Kunst sei dann, diese meditative Haltung auch im stressigen Alltag beizubehalten. Im Beruf gelingt ihr das inzwischen ganz gut, nur bei zwischenmenschlichen Dingen fällt es ihr manchmal noch etwas schwer, loszulassen.

Manche finden all diese Dinge vielleicht unspannend und durchschnittlich, aber im Falle von Stratmann wäre dies nicht mal eine Beleidigung. Sie will nicht überdurchschnittlich sein. Sie will sich nicht als besonders spannend darstellen. Und wahrscheinlich wirkt sie genau deshalb so zufrieden.

Gerade steckt sie all ihre Energie in das Magazin „Ethik heute“. Die Idee dazu sei in ihrem Herzen entstanden, sagt sie. „Denn wenn ich darüber nachdenke: Ich muss verrückt sein, so etwas in Zeiten wie diesen zu machen“, sagt sie über die angespannte Situation in der Medienbranche. Aber Entscheidungen, die mit dem Herzen getroffen werden, seien oftmals die besten.

Stratmann maßt sich nicht an, zu beurteilen, was ethisch richtig und was falsch ist. „Genau von diesem engen Verständnis will ich ja weg“, sagt sie. „Es geht nicht um eine reine Pflichterfüllung.“ Vielmehr gehe es darum, überhaupt darüber nachzudenken, wie wir uns verhalten. Fehler sind auch hier erlaubt. So wie vor einigen Wochen, als Stratmann mit dem Zug unterwegs war. Ein anstrengender Tag lag hinter ihr, und ein Grummeln im Magen erinnerte sie daran, dass sie noch nichts gegessen hatte. Im Bordrestaurant gab es nur noch Hühnerfrikassee, aber Stratmann ist Vegetarierin. Hunger gegen Ethik: Sie aß eine Portion Hühnerfrikassee. So viel Menschlichkeit muss sein.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Birgit Stratmann bekam den Faden von Barbara Kirschbaum und gibt ihn an Uta Frahm weiter.