Hamburger Bürgerschaft

„Scherbenhaufen“: Schlagabtausch über Stadtteilschulen

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Ulrich Meyer
Für Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist es nicht redlich, eine Krise der Stadtteilschulen herbeizureden

Für Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist es nicht redlich, eine Krise der Stadtteilschulen herbeizureden

Foto: Bodo Marks / dpa

Die große Mehrheit der Abgeordneten lehnt in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft eine Änderung des Zwei-Säulen-Schulsystems ab.

Altstadt.  Als eigentlich alles gesagt war und die kontroversen Positionen zu Wohl und Wehe der Stadtteilschulen einmal mehr aufeinandergeprallt waren, sorgte der SPD-Abgeordnete Mathias Petersen in der Bürgerschaft für einen Moment der Nachdenklichkeit. Der Allgemeinmediziner erzählte von einem zwölfjährigen Mädchen, das wegen gesundheitlicher Probleme in seiner Praxis war.

„Sie hatte gerade erfahren, dass sie wegen unzureichender Leistungen nicht auf dem Gymnasium bleiben kann. Sie hatte eine Gymnasialempfehlung, und nun waren ihre Leistungen nicht mehr ausreichend“, sagte Petersen in der Aktuellen Stunde des Parlaments. „Ich bin seit 19 Jahren Abgeordneter, und ich höre seitdem die immer gleichen Schul­debatten. Was mir fehlt, ist, dass einmal darüber gesprochen wird, was solch ein Kind denkt und fühlt.“ Stattdessen sei es in der Schulpolitik so, dass „der eine auf den anderen einhaut“. Petersen rief die Schulpolitiker auf, die „ideologische Brille abzusetzen und sich auf die Seite der Kinder zu schlagen“.

Zuvor war es in der Tat zu einem heftigen Schlagabtausch über das Positionspapier der Stadtteilschulleiter gekommen. Die Pädagogen hatten wegen des anhaltenden Trends zum Gymnasium vor einem Scheitern des Zwei-Säulen-Modells gewarnt. Die Herausforderungen durch die Inklusion und den Unterricht der Flüchtlingskinder müssten die Stadtteilschulen praktisch allein schultern. Als Konsequenz wird in dem Papier, das 51 der 58 Stadtteilschulleiter unterschrieben haben, die Schule für alle gefordert.

FDP: Rabe steht vor einem Scherbenhaufen

„Schulsenator Ties Rabe steht vor einem Scherbenhaufen, aber er ignoriert die Probleme“, warf die FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein Rabe vor. Die Einführung der Inklusion „mit der Brechstange“ sei quasi gescheitert, und die Verteilung der Flüchtlinge, die die Stadtteilschulen überproportional belaste, sei ungerecht. „Mit Ihrer Politik ruinieren Sie das gesamte Schulsystem. Der Brief der Schulleiter ist ein Hilferuf“, so die Liberale. „Wir wollen keine neue Schulstrukturdebatte, aber der Schulfrieden, wie Sie ihn beschwören, bedeutet Stillstand.“

In eine ähnliche Richtung zielte auch die CDU-Schulexpertin Karin Prien: „Das Papier der Schulleiter ist ein öffentliches Misstrauensvotum und führt zu einer Vertrauenskrise für das Schulsystem insgesamt.“ Das sei ein „außerordentlich besorgniserregender Befund“. Prien nahm die Stadtteilschulen zwar gegen „überzogene Kritik“ in Schutz, kritisierte aber auch, dass von Rabe immer nur Selbstlob komme. „Die Stadtteilschulen verlieren an Boden – das ist Ihr Problem, Herr Rabe“, so Prien. „Das Zwei-Säulen-Modell darf nicht scheitern.“

Der Gescholtene konterte mit einer positiven Leistungsbilanz: „In nur fünf Jahren haben es die Stadtteilschulen geschafft, dass 50 Prozent mehr Schüler nach Klasse zehn einen Ausbildungsplatz bekommen.“ Die Zahl der Schul­abbrecher sei deutlich zurückgegangen, und rund doppelt so viele junge Menschen machten an dieser Schulform Abitur. „Hamburg kann auf seine Stadtteilschulen stolz sein“, so Rabe.

Senat will Schulsystem nicht verändern

Aber der SPD-Politiker wies auch auf die Investitionen des Senats hin. Rund 1400 Lehrer seien seit 2011 zusätzlich an die Stadtteilschulen gekommen, deren Personalausstattung um knapp 40 Prozent besser sei als die gleich großer Gymnasien. „Es ist nicht redlich, eine Krise herbeizureden, nur weil die Stadtteilschulen den Bundestrend zum Gymnasium nicht besiegen konnten.“ Rabe forderte von der Schulform ein klares Bekenntnis zur Leistung, um gegenüber den Gymnasien bestehen zu können. Am Schulsystem werde nicht gerüttelt: „Der Senat steht fest zum Schulfrieden mit dem Zwei-Säulen-Modell und zum Elternwahlrecht.“

Das sah Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus völlig anders: „Das Zwei-Säulen-Modell ist eine Sackgasse, und der Schulsenator weiß das ganz genau.“ Boeddinghaus sieht die Schule für alle als Ausweg und forderte als ersten Schritt, dass auch die Gymnasien Inklusionskinder aufnehmen. Die Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg lehnte die Schule für alle klar ab. „Die Forderung ist unverantwortlich. Man muss doch den Volksentscheid gegen die Schule für alle zur Kenntnis nehmen.“ Alexander Wolf (AfD) sagte, dass es verständlich sei, dass Eltern ihr Kind lieber auf einem Gymnasium anmeldeten.

Mathias Petersen schlug als Konsequenz aus den Leiden seiner zwölfjährigen Patientin vor, dass die Gymnasien alle Schüler mit Gymnasialempfehlung, die sie einmal aufgenommen haben, nicht wieder abschulen dürfen. „Ich hoffe, ich erlebe es noch, dass solch ein Vorschlag einmal ernsthaft diskutiert wird“, sagte Petersen. Auf Zustimmung seines Parteifreundes Ties Rabe darf er dabei allerdings nicht rechnen.