Bildung

Droht in Hamburg eine neue Debatte über die Schulstruktur?

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Peter Ulrich Meyer
Beim individualisierten Lernen – hier Schüler der Schule am See – bekommt jedes Kind seinem Lernstand gemäße Aufgaben

Beim individualisierten Lernen – hier Schüler der Schule am See – bekommt jedes Kind seinem Lernstand gemäße Aufgaben

Foto: Jürgen Joost

Leiter der Stadtteilschulen lösen mit Forderung nach Ende des Zwei-Säulen-Modells heftige Reaktionen aus. Lob von Linken.

Hamburg.  Es ist gerade einmal acht Wochen her, dass sich Schulsenator Ties Rabe (SPD) und die Leiter der 58 Stadtteilschulen zu einer zweitägigen Tagung ins niedersächsische Jesteburg zurückgezogen hatten, um über die Zukunft der Schulform zu sprechen. Rabe forderte unter anderem ein klares Bekenntnis zur Förderung der leistungsstarken Schüler, um dem Trend zum Gymnasium Paroli zu bieten. Der SPD-Politiker hatte damals den Eindruck, dass seine Botschaft durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen war. Er könnte sich geirrt haben.

Das fünfseitige Positionspapier, das die Stadtteilschulleiter jetzt vorgelegt haben, weist mit der Forderung nach einer „Schule für alle“ einen anderen Weg. „Gute, inklusive Schule nutzt die Chancen einer umfassenden Inklusion: Geschlecht, Behinderung, Begabung, Sprache und Kultur sind Schätze unserer sich verändernden Gesellschaft“, heißt es in dem Papier, das 51 der 58 Schulleiter unterzeichnet haben.

Kommentar: Keine Schule für alle!

„Separation (Trennung, die Red.) nach alten Mustern, Ideen von homogenen Gruppen, von eindimensionalen Sichtweisen auf Bildung, wie zum Beispiel die Reduzierung auf eine Lehre von reinen Fachinhalten, werden abgelöst durch eine umfassende, ganztägige, inklusive Bildung“, lautet die Forderung der Pädagogen. Die Stadtteilschulen, so die Botschaft des Papiers, würden genau diesen Unterricht schon praktizieren: „Die für unsere Schulform ermittelten Lernzuwächse, die erreichten Abschlüsse, das soziale Engagement der Schulen und die zahlreichen Bildungspreise für herausragende Talente sind Zeugnis dieser guten Schulen.“

Die Schulleiter fordern mehr Freiheit für jeden einzelnen Standort zur Entwicklung eines eigenen Profils. Außerdem soll die Lehrerausbildung so verändert werden, dass inklusiver Unterricht ein stärkeres Gewicht erhält. Das Musterflächenprogramm, das den Raumbedarf für Schulen festlegt, soll für die Erfordernisse des Ganztagsbetriebs an weiterführenden Schulen verändert werden. Diskutieren wollen die Pädagogen auch die „Grundschulempfehlung und Aufnahmeentscheidung der weiterführenden Schule“. Was darunter konkret zu verstehen ist, erläuterte Helga Wendland, Sprecherin der Vereinigung der Schulleiter an Hamburger Stadtteilschulen, dem Abendblatt: „Wir akzeptieren den Elternwillen. Aber wir sind der Ansicht, dass eine Schule die Schüler auch behalten sollte, die sie einmal aufgenommen hat.“

Ein solches Vorgehen hätte weitreichende Konsequenzen: Bislang müssen mehrere Hundert Schüler allein am Ende der sechsten Klasse das Gymnasium wegen unzureichender Leistungen verlassen. Auch in anderen Klassenstufen gibt es Wechsel auf die Stadtteilschule. „Das ist für die Kinder nicht gut und auch nicht für die Stadtteilschulen“, sagte Helga Wendland. Die Kinder seien wegen des Misserfolgs frustriert und brächten häufig Probleme mit.

Senat steht fest zum Schul­frieden

Schulsenator Rabe erteilte der Forderung nach einer „Schule für alle“ eine klare Absage. „Wir sollten uns nicht in Fantasien neue Schulreformen herbeireden und die Schulformen gegeneinander ausspielen“, sagte der SPD-Politiker. Der Senat stehe fest zum Schul­frieden, in dem auch das Zwei-Säulen-Modell von Stadtteilschule und Gymnasium verankert sei. Rabe will den „Arbeitsprozess“ zur Stärkung der Stadtteilschulen fortsetzen – gerade auch mit den Stadtteilschulleitern.

„Ein neuer ideologischer Schulkampf gegen die Gymnasien ist das Letzte, was wir in Hamburg brauchen“, sagte die CDU-Schulpolitikerin Karin Prien. Eltern das „gescheiterte Gesamtschulmodell noch dazu mit umfassender Inklusion und zunehmend mehr Flüchtlingen in Regelklassen aufzwingen zu wollen würde in Hamburg nicht nur nicht gelingen, sondern zwangsläufig den nächsten Volksentscheid mit Kulturkampf herbeiführen“.

Auch die FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein ist gegen eine neue Schulstruktur-Debatte. „Die FDP fordert, dass die Stadtteilschulen endlich für ihre Kernaufgaben gestärkt werden“, sagte die Liberale und meinte damit, den mittleren Schulabschluss und die Vorbereitung auf die Berufsausbildung stärker in den Mittelpunkt zu rücken. „Das Abitur und spätere Studium ist ein separater Studiengang – deshalb brauchen wir auch Außendifferenzierung in der Stadtteilschule.“ Positiv reagierte die Grünen-Schulexpertin Stefanie von Berg auf den Vorstoß der Schulleiter. Bei allen Problemlagen sei die Stadtteilschule die Schulform mit dem größten Potenzial. „Die KESS-Leistungsstudien machen deutlich: Nirgends ist der Lernzuwachs größer. Deshalb begrüße ich den Brief und die Zusammenarbeit der Schulleitungen ausdrücklich“, sagte von Berg.

„Ich bin begeistert von diesem Signal für die Schule für alle“, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Das Festhalten am „zutiefst un­sozialen Modell von Gymnasium und Stadtteilschule entbehrt jeglicher pädagogischer Begründung“. Unterstützung für die Forderung nach einer „Schule für alle“ kommt auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

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