Hamburg. Klaus Schomacker, Vertrauensmann und Sprecher der Volksinitiative gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge, blieb im Augenblick des Triumphes zurückhaltend, ja bescheiden. Rund 26.000 Unterschriften, abgeheftet in 13 Aktenordnern, übergab Schomacker am Mittwoch in der Rathausdiele einer Mitarbeiterin der Senatskanzlei. So viele Unterstützer innerhalb von nur vier Tagen hat noch nie eine Volksinitiative gefunden. Schomacker hätte also allen Grund gehabt, zu einem Sturmlauf in Richtung Volksentscheid und damit gegen die Politik des Senats und der rot-grünen Koalition aufzurufen.
Aber von wegen. Einmal abgesehen davon, dass dem besonnenen 61 Jahre alten Ingenieur die Attitüde des Volkstribuns nicht liegt, entspricht populistische Stimmungsmache auch nicht der Strategie der Initiative. Und so sagte Schomacker auf die Frage, was Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) seiner Meinung nach nun tun solle: „Ich erwarte von ihm, dass wir gemeinsam nach Alternativen für die Unterbringung von Flüchtlingen suchen.“ Politik und Volksinitiative eine „das gemeinsame Ziel, schnell Lösungen zu finden“.
Am Dienstag gab es erste Gespräche zwischen Politik und Bürgerinitiative
Ein Anfang ist gemacht: Am Dienstagabend trafen sich die Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) mit Schomacker und seinen Mitstreitern, um Positionen auszutauschen und Kompromisslinien auszuloten. Keine Verhandlungen, nur Gespräche, wie Rot-Grün betont. Und ebenfalls am Dienstag lud Bürgermeister Scholz alle Hamburger ein, mithilfe des interaktiven Stadtmodells City Scope nach neuen Standorten für Flüchtlingsunterkünfte zu suchen.
Es grenzt an ein politisches Paradox: Sowohl die Initiative als auch der rot-grüne Senat wollen eigenen Worten zufolge einen Volksentscheid vermeiden. Vielleicht ahnen beide Seiten, dass die Abstimmung das politische Klima in der Stadt dauerhaft vergiften könnte, weil es irgendwann doch nur noch um Ja oder Nein zu Flüchtlingen gehen könnte. Ein Motiv kommt bei den Politikern mit Sicherheit hinzu: Senat und Bürgerschaft haben noch nie einen Volksentscheid gewinnen können – egal, wer gerade im Rathaus regiert.
Behörden prüfen, ob die Forderungen der Initiative verfassungswidrig sind
Das erklärt auch, dass der juristische Hebel schon im Anschlag ist. In den zuständigen Behörden wird bereits eifrig geprüft, ob die Volksinitiative mit ihrem Anliegen gegen die Verfassung verstößt. Zwei ihrer Kernforderungen stehen dabei im Blickpunkt: Keine Flüchtlingsunterkunft soll mehr als 300 Flüchtlinge beherbergen, und zwischen allen Standorten mit mehr als 100 Plätzen muss ein Mindestabstand von 1000 Metern Luftlinie liegen.
Zu Ende gedacht bedeuten die Forderungen, dass es rechnerisch einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen geben muss, wenn alle Standorte mit dem entsprechenden Mindestabstand belegt sind. In der rot-grünen Koalition macht schon das Wort von der „indirekten Obergrenze“ die Runde, die es aber qua Verfassung nicht geben darf. Denn Hamburg ist wie alle Bundesländer per Bundesgesetz verpflichtet, alle Flüchtlinge aufzunehmen, die der Stadt nach dem Königsteiner Schlüssel, der sich an Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Länder orientiert, zugewiesen werden. Und so wird derzeit juristisch untersucht, ob der schön-schlichte Rechtsgrundsatz „Unmögliches kann niemand verlangen“ hier Anwendung finden muss. Klar ist Senatsjuristen und Politikern allerdings, dass die Begründung einer solchen „faktischen Unmöglichmachung“ penibel und stichhaltig ausfallen muss, um die Richter zu überzeugen.
Bausenatorin Stapelfeldt spielt beim Ringen um Kompromisse keine Rolle
„Wir sind relativ sicher, dass wir das gewinnen würden. Wir haben mit vielen erfahrenen Juristen wochenlang die Materie geprüft“, sagt Schomacker gelassen. Letztlich sei es doch eine politische Entscheidung, ob der Senat das Gericht anrufe und damit den Weg der Konfrontation wähle. Übrigens hat noch kein Senat den Gang zum höchsten Gericht angetreten – nicht zuletzt aus politischen Gründen wie bei der später erfolgreichen Volksinitiative gegen den Rückkauf der Energienetze.
Nach außen gibt sich Rot-Grün einstweilen relativ gelassen, aber intern knirscht es kräftig im Koalitionsgebälk. In der SPD-Fraktion regte sich kräftiger Unmut bei einer Reihe von Abgeordneten, die die Sorge hatten, dass die Fraktionschefs von SPD und Grünen jetzt direkte Verhandlungen mit Schomacker starten könnten. Mancher Abgeordneter kennt den einen oder anderen Akteur von Auseinandersetzungen vor Ort. Sozialdemokraten und Grüne mussten sich in den Stadtteilen bisweilen für die vom Senat geplanten Großunterkünfte heftig beschimpfen lassen. Wenn das nun in Verhandlungen kassiert würde, wäre alle Standhaftigkeit umsonst gewesen...
Das Senatsprogramm zu den Flüchtlingsunterkünften sorgt insgesamt für Frust
Überhaupt sorgt das Senatsprogramm, das jeden Bezirk verpflichtet, Flächen für 800 Wohnungen bereitzustellen, in denen dann zunächst Flüchtlinge einziehen sollen, für starken Frust. Es war die ursprüngliche Idee, an einem Standort die 800 Wohnungen zu realisieren, die den Bürgerprotest gegen die angebliche Gettobildung befeuert hatte. Zwar haben alle Bezirke bis auf Bergedorf ihre Planungen inzwischen auf mehrere kleinere Einheiten umgestellt. Aber das ist das Ergebnis von häufig mühsamen Gesprächen der roten und grünen Bezirkspolitiker und Wahlkreisabgeordneten vor Ort sowie der beiden Bürgerschaftsfraktionschefs Dressel und Tjarks.
Die für das Flüchtlingswohnungsbauprogramm verantwortliche Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) spielte dagegen nach dem Eindruck vieler bei diesen Gesprächen praktisch keine Rolle. Ein Koalitionär spricht deswegen von einem „Totalausfall“ Stapelfeldts.
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